Montag, 29. September 2025

Nicole Seifert: "Einige Herren sagten etwas dazu" - Die Autorinnen der Gruppe 47

Mir fiel es noch nie so schwer, ein Buch zu beenden. Nicht, weil es schlecht geschrieben wäre oder nicht interessant genug. Ganz im Gegenteil. Aber so geballt zu lesen, wie Frauen herabgewürdigt werden, sie nur nach Äußerlichkeiten beurteilt werden und nicht nach ihren Werken. Was müssen viele der Männer dieser Gruppe für Angsthasen gewesen sein.

Dies ist nicht das erste Buch dieser Art, das ich gelesen habe. Ich erinnere an "Zensiert, verschwiegen, vergessen" von Ines Geipel und "Ich finde es unanständig, vorsichtig zu leben" von Iris Schürmann-Mock. Nach diesen Leseerfahrungen möchte ich mich fast den Ärzten anschließen: "Männer sind Schweine". Und ich habe immer weniger Lust, das Buch eines Autoren in die Hand zu nehmen.


Kiepenheuer & Witsch, 2024


Buchinfo

Nicole Seifert erzählt die Geschichte der Gruppe 47 aus einer neuen Perspektive: der der Frauen. Ihr Ergebnis kommt einer Sensation gleich. "Einige Herren sagten etwas dazu" macht es zwingend, die deutsche Gegenwartsliteratur neu zu denken, die literarische Landschaft neu zu ordnen.

Es waren viel mehr Autorinnen bei den berühmt-berüchtigten Treffen der Gruppe 47 als Ingeborg Bachmann und Ilse Aichinger, aber sie sind in Vergessenheit geraten, sie fielen aus der Geschichte heraus – wie sich nun herausstellt, hatte man ihnen oftmals gar nicht erst Zutritt gewährt. Und wurden sie miterzählt, dann nicht als Autorinnen ihrer Texte, sondern als begehrenswerte Körper oder als tragische Wesen. Nicole Seifert erzählt von den Erfahrungen der Autorinnen bei der Gruppe 47, von ihrem Leben in den Fünfziger- und Sechzigerjahren in der BRD und von ihren Werken.

Ein kluges, augenöffnendes Buch, das sofort große Lektürelust entfacht. Schriftstellerinnen wie Gisela Elsner und Gabriele Wohmann müssen neu gelesen, Schriftstellerinnen wie Ruth Rehmann, Helga M. Novak und Barbara König neu entdeckt werden. Ein ganz neuer Blick auf die Gruppe 47 und die Nachkriegsliteratur, der uns bis in die Gegenwart führt.

"Die Geschichte einer Frau umzuschreiben, erfordert zwangsläufig die Auseinandersetzung mit den männlichen Vorgaben, die sie zuvor definiert haben. Um gegen eine Ideologie zu argumentieren, muss man sie anerkennen und artikulieren. Im Zuge dieses Prozesses mag man seiner Opposition unabsichtlich Gehör verschaffen."

Jia Tolentino, "Trick Mirror"


Die Frauen der Gruppe 47

Ruth Rehmann

Ingrid Bachér

Ilse Schneider-Lengyel

Ilse Aichinger

Ingeborg Bachmann

Ingeborg Drewitz

Barbara König

Gabriele Wohmann

Gisela Elsner

Christine Koschel, Christa Reinig

Griseldis L. Fleming

Helga M. Novak

Elisabeth Borchers

Elisabeth Plessen

Barbara Frischmuth

Renate Rasp


Buchbeginn

Als Ruth Rehmann Ende Oktober 1958 den Gasthof Adler in Großholzleute im Allgäu betritt, überfallen sie Zweifel. Sie will dort am nächsten Tag vor der Gruppe 47 ein Kapitel aus ihrem ersten, noch unfertigen Roman lesen, aber war das die richtigen Entscheidung? 


Zitate

Es gab so viele Stellen in diesem Buch, die es wert wären, herausgeschrieben zu werden. Aber ihr sollt, falls ich euch neugierig gemacht habe, das Buch ja noch lesen und so belasse ich es bei diesen beiden:


"Ilse Schneider-Lengyel ist die erste einer Reihe von Autorinnen, bei denen die Diskrepanz zwischen ihrem Leben und Wirken und dem Bild, das später von ihnen gezeichnet wurde, gigantisch ist. Ihr Beispiel macht deutlich: Um die Autorinnen der Gruppe 47 überhaupt sehen und beurteilen zu können, müssen sie zunächst einmal von den Geschichten befreit werden, die um sie herum gesponnen wurden, seien sie abfällig oder Stoff für Legenden. Denn wenn die Frauen ,nicht' aus der Geschichte der Gruppe 47 herausfielen, sondern miterzählt wurden, dann nicht als Autorinnen ihrer Texte. Die männliche Rede über das Weibliche hat sich nicht nur im Fall von Ilse Schneider-Lengyel vor ihr Werk gestellt, Ähnliches geschah auch bei Ilse Aichinger."


"Mir fehlt in der Debatte um weibliche Kunst und Weiblichkeit im Öffentlichen immer ein einziges Wort: Verachtung. Seltsamerweise spricht es nie jemand aus, nicht einmal Feministinnen, vielleicht weil sie es sich nicht eingestehen wollen, doch es ist bezeichnend für das, was die Frau für ihre Arbeit bekommt, auch wenn das eben nie ausgesprochen wird. Die Verachtung des weiblichen Werks."

Elfriede Jelinek

Sylvia Beach: Shakespeare and Company - Ein Buchladen in Paris

Übersetzt von Lilly von Sauter
Suhrkamp Verlag, 2008


Buchinfo

Sylvia Beach, geboren 1887 in Baltimore, gestorben 1962 in Paris, gründete 1919 die Buchhandlung "Shakespeare and Company" in Paris, die sie schließen mußte, als die Deutschen 1941 Paris besetzten. Sylvia Beach wurde berühmt durch ihren verlegerischen Wagemut, 1922 die erste Ausgabe von James Joyce' "Ulysses" zu veröffentlichen. Sylvia Beachs amerikanische Buchhandlung und Leihbücherei in Paris war für ein Vierteljahrhundert Treffpunkt für Dichter und Musiker, denen Paris und die lebendige Atmosphäre um die Wahlpariserin zum geistigen Asyl und Mittelpunkte wurden. In der 1919 eröffneten Bücherei fanden sich als Kunden keine Geringeren als André Gide, André Maurois, T. S. Eliot ein. "Die aufregende Pariser Periode der amerikanischen Literaturgeschichte" dokumentierte sich an dieser Stätte durch Kunden und Autoren wie Gertrude Stein, Ezra Pound, Sherwood Anderson, Thornton Wilder, John Dos Passos und Ernest Hemingway. Henry Miller und Thomas Wolfe waren unter den vielen, die bei "Shakespeare and Company" Dichterlesungen abhielten.


Buchbeginn

"Wer ist eigentlich Sylvia?"
Mein Vater, Reverend Sylvester Woodbridge Beach, D. D., ein presbyterianischer Geistlicher, war siebzehn Jahre lang Pastor der Ersten Presbyterianischen Kirche in Princeton, New Jersey.
Nach einem in Munseys erschienenen Artikel über seltsame Stammbäume amerikanischer Familien vererbte sich bei den Woodbridges, den mütterlichen Vorfahren meines Vaters, der geistliche Stand durch zwölf oder drei Generationen vom Vater auf den Sohn. Meine Schwester Holly schätzt die Wahrheit über alles, so ging sie der Geschichte nach und nahm ihr leider dabei einiges von ihrem Nimbus. Sie schraubte die Zahl der Geistlichen auf neun herunter, und damit müssen wir uns zufriedengeben.

Sonntag, 28. September 2025

Leona Rostenberg, Madeleine Stern: Zwei Freundinnen, eine Leidenschaft

Welcher Antiquariatsbuchhändler kann heute noch solche Geschichten erzählen? Diese beiden Frauen, beide aus jüdischen deutsch-amerikanischen Familien stammend, haben fast ihr ganzes Leben seltenen Büchern gewidmet. 

In dieser Doppel-Biografie erzählen Leona Rostenberg und Madeleine Stern abwechselnd über ihr Leben. Doch vorher berichten sie im Prolog, wie es dazu kam:

Leona Rostenberg und Madeleine Stern (im Weiteren schreibe ich nur Leona und Madeleine) befinden sich 1995 in ihrem für den Sommer gemieteten Landhäuschen in East Hampton, als das Telefon klingelt und sich der Doubleday-Verlag bei ihnen meldet. Die haben einen Artikel über die beiden Frauen in der Times gelesen und fragen nun an, ob sie für den Verlag ein Buch schreiben wollen. Eine gemeinsame Autobiografie etwa. Da das Buch ja erschienen ist (was für ein Verlust, wenn es nicht dazu gekommen wäre), lautete die Antwort nach reiflichen Überlegungen ja.

Im Prolog erfahre ich noch etwas über ihrer beider Herkunft, dass Madeleine schriftstellerisch tätig war und Leona "die überraschende Entdeckung von Louisa Alcotts Pseudonym und ihrer unter Pseudonym veröffentlichten Sensationsromane" machte. Madeleine spürte diese Romane auf und stellte sie zu einer Serie von Anthologien zusammen.

Wunderschön, wie sie ihr Geschäft, den Handel mit seltenen Büchern, beschreiben:

"Es ist ein Geschäft, bei dem Wissen Macht bedeutet und detektivische Fähigkeiten oft eine wichtige Rolle spielen. Das elektrisierende Gespür dafür, was an einer Erstausgabe oder einem frühen Druck besonders bemerkenswert ist, wird in unserer Branche als Fingerspitzengefühl* bezeichnet. Wenn Fingerspitzengefühl* sich mit glücklichem Zufall paart, dann öffnet sich für diejenigen, die mit dem Alten und Seltenen handeln, die Pforte zum Paradies. Leona hat diese Faszination während einer langen Lehrzeit kennen gelernt, und Madeleine hat sie von ihr gelernt. Alle beide sind wir seit einem halben Jahrhundert dieser Faszination erlegen und werden ihr auch weiterhin immer wieder aufs Neue erliegen."

Hach, liest sich das nicht wundervoll? (Anm. d. Übers.: "Ausdrücke, die im Original auf Deutsch stehen, werden durch * gekennzeichnet.") 

Und dann erzählen sie, beginnend bei ihrer Kindheit und immer mit einer Prise Humor. Leona reichte mit zwei Jahren bis zum untersten Regal des Bücherboards, und ihre Mutter prophezeite, dass sie eines Tages eine Schriftstellerin werden würde. Sie liebte Bücher von klein auf und lag ihrer Mutter permanent in den Ohren, in die "Bibothek" zu gehen. Ihre Wahl fiel auf ein "Bilderbuch unserer großen Führer". 

"Stolz marschierte ich mit meiner Wahl von dannen, noch immer den muffigen, staubigen Geruch von Büchern in der Nase, ein Geruch, der irgendwie warm, beruhigend und aufregend zugleich war und der mich für immer begleiten sollte."

Auch Madeleine denkt vielleicht schon in Kindertagen daran, eines Tages eine Schriftstellerin zu werden. Zu ihrem 6. Geburtstag schreibt sie:

"Eines der Geschenke, von der Kusine meiner Mutter, war, was ich meine Schatzkiste nannte. Das war eine braune Schatulle, die in Dutzende von Fächern unterteilt war, und in jedem von ihnen fand sich eine Auswahl an Schreibutensilien. Es gab Büroklammern, Kärtchen und Schlüsselringe, es gab Etiketten, Gummibänder und Schreibfedern, es gab alles, wovon eine Schriftstellerin träumen konnte, und vielleicht sah ich mich damals sogar schon als Schriftstellerin. Ich besaß diese Schatulle viele Jahre lang und hielt sie in Ehren."

Sie berichten, wie sie sich kennenlernen und zusammen arbeiten, sich erst gar nicht sooo sympathisch waren, sich wieder trennen, um eigene Wege zu gehen, die im Endeffekt dorthin führen, wo sie sich wieder treffen und ihr weiteres Leben miteinander verbringen. Als Leona eines Tages wirklich nicht mehr wusste, in welche Richtung sie gehen sollte, macht Madeleine ihr ein Geschenk, das ihre Zukunft bestimmt.

Dass ich die meisten alten Buchtitel und Autoren nicht kenne, tat meinem Lesespaß absolut keinen Abbruch. Dieses Buch ist schon nach dem ersten Lesen meine Lieblings-Biografie geworden. Mittlerweile habe ich es schon ein zweites Mal gelesen.

Carola Stern: Der Text meines Herzens - Das Leben der Rahel Varnhagen

 Rowohlt Verlag 1994


Buchinfo

Die Berliner Jüdin Rahel Levin-Varnhagen gehört zu den bedeutendsten Frauen des frühen 19. Jahrhunderts. In ihrem legendären Salon verkehrten Frauen und Männer, Adlige und Bürger, Dichter, Künstler, Militärs, Politiker. Sie stand in Kontakt mit den Großen ihrer Zeit, mit Goethe, Hegel, Leopold von Ranke, den Gebrüdern Humboldt, Heinrich Heine. Die Schriftstellerin und Journalistin Carola Stern entwirft in ihrer Biographie ein ganz persönliches Bild Rahels, zeichnet sie als "Handelnde und Planende", als Frau, die ihr Leben zu gestalten wußte.


Buchbeginn

Mag Mademoiselle Levin zuweilen auch an sich und an der Welt verzweifeln - sie weiß, daß ihre Briefe einem Kunstwerk gleichen, und sie will, daß dieses Kunstwerk nicht verlorengeht. "Und sterb' ich, schreibt sie einer Freundin, 1800 von Berlin aus nach Paris aufbrechend, "such' ,alle' meine Briefe ... von 'allen' meinen Freunden und Bekannten zu bekommen ... Es wird eine Original-Geschichte und poetisch."

Michael Maar: Leoparden im Tempel - Portraits großer Schriftsteller

Rowohlt, 2023


Buchinfo

Wer wissen will, wie eng Thomas Mann mit dem Teufel verbandelt war, warum Marcel Proust kein Neujahrsgeschenk duldete, warum Virginia Woolf unterm Einfluss zweier Monde stand und Nabokovs Lolita Jungentracht trägt, woran Kafkas Käfer krepierte und was Robert Musil mit dem Giftzweig Canetti verband: Herzlich willkommen. Ein Streifzug durch die Weltliteratur, mit feiner Ironie und reich an überraschenden Einsichten.

Für mich nicht überraschend, dass Virginia Woolf die einzige Schriftstellerin in diesem Buch ist. 
Und bei Robert Musil habe ich das Buch abgebrochen. Was für ein unsympathischer Mann.


Buchbeginn

Die magnetische Eidechse

H. C. Andersen

Dieser Hans Christian hat die Welt verändert. Im Jahr 1820 entdeckte der dänische Physiker Hans Christian Ørsted bei der Vorbereitung auf eine Vorlesung zufällig den Einfluß elektrischer Ströme auf eine Magnetnadel. Wenn Strom durch einen Leiter fließt, bildet sich um ihn herum ein Magnetfeld. Ohne diese Entdeckung, die sich in Europa in Windeseile verbreitete, gäbe es heute keinen Generator, kein Radio, keinen Fernseher, keinen Computer. 

Samstag, 27. September 2025

Madge Jenison: Sunwise Turn - Zwei Buchhändlerinnen in New York

Buchinfo

Mitten in den Umwälzungen des Ersten Weltkriegs und trotz ungünstiger wirtschaftlicher Rahmenbedingungen erfüllten sich zwei Frauen in New York City ihren Traum. Madge Jenison und Mary Mowbray-Clarke gründeten 1916 eine Buchhandlung, die innerhalb kurzer Zeit zum kulturellen Fixpunkt in Manhattan wurde. 'The Sunwise Turn' ist das Urbild einer Buchhandlung, wie sie wohl jeder Bücherfreundin, jedem Bücherfreund vorschwebt. Künstler und Intellektuelle verkehrten hier ebenso wie Vertreter des Geldadels, Angehörige der Mittelschicht und Arbeiter. Damen der Gesellschaft arbeiteten unentgeltlich als Aushilfe, auch die junge Peggy Guggenheim erledigte Botengänge. Zum besonderen Reiz dieser literarischen Liebeserklärung an eine Buchhandlung gehört es, dass viele Episoden und selbst kaufmännische Gepflogenheiten noch heute mühelos nachvollziehbar sind. Unternehmerische Risiken und erdrückende Konkurrenz, aber auch das Glück des Gelingens – all das spiegelt Jenisons 'menschliche Komödie des Bücherverkaufens'. Nach der Lektüre ist man überzeugt, dass sich ihr Mut zum Risiko gelohnt hat.

Buchbeginn

Dies ist die Geschichte von einem schönen, abenteuerlichen und aufregenden Unterfangen. Es ist weder ein Lehrbuch noch eine theoretische Abhandlung noch ein Roman, den man für einen Groschen kaufen kann wie eine Zuckerschnecke. Es geht darum, wie wir etwas verwirklicht haben, das uns wichtig war und unser ganzes Denken und Fühlen beschäftigte. Es war so mühsam und zugleich so interessant, dass schwerlich jemand mehr Hingabe oder Engagement hätte aufbringen können als wir in diesen vier Jahren.

Mittwoch, 24. September 2025

Petra Hartlieb: Meine wundervolle Buchhandlung

"Du musst sofort kommen. Wir haben die Buchhandlung gekauft. Scheiße, wir haben eine Buchhandlung gekauft!"

Für diesen Satz liebe ich Petra Hartlieb. Da hat die Familie Hartlieb - Frau, Mann und zwei Kinder -, zufrieden in Hamburg lebend, mal eben so eine Buchhandlung in Wien gekauft. Man hat ja einen Ex, der einem einen zinslosen Kredit gewährt und man hat Freunde in Wien, die einem ein Dach überm Kopf bieten, bis die Wohnung bezugsbereit ist. Was soll's also: Kaufen wir eine Buchhandlung.

Es ist die zweite Oktoberwoche, am 4. November soll in Wien Eröffnung sein. Es muss gekündigt werden, ein Kindergartenplatz gesucht werden, umgezogen werden und ein Buchladen muss neu renoviert und bestückt werden. Und dann muss der Mann nach der Neueröffnung wieder nach Hamburg zurück, seine halbjährige Kündigungsfrist einhalten. So steigt er ins Auto und lässt mich "als frischgebackene alleinerziehende Unternehmerin ohne eigene Wohnung zurück. Mich, die ich nie mehr alleinerziehend sein wollte. Auch nie Unternehmerin. Und Buchhändlerin bin ich ja auch nicht. Wie gut, dass ich keine Zeit habe, darüber nachzudenken, wie sehr ich mich überfordert fühle".

Ich denke einfach mal, dass das ganze Projekt erfolgreich war, ansonsten hätte Petra Hartlieb das Buch sicher nicht mit so einer Prise Humor geschrieben, dass ich schon nach den ersten 20 Seiten gegrinst und gelacht habe.

Die wiedereröffnete Buchhandlung schlägt voll ein. Die Wohnung darüber wird fertig und man richtet sich ein. Aber diese Nähe zum Job - Wohnung und Buchhandlung sind durch eine Treppe verbunden - bedeutet auch, dass man kaum Feierabend machen kann. Das schafft man auf Dauer wohl nur mit Leidenschaft - oder ist es verrückt?

"Denn ganz normal ist es wohl nicht, wenn man nach einem Zehnstundentag, an dem man gefühlte zweihundert Bücher aller Genres nacherzählt hat, am Küchentisch sitzt, völlig begeistert die Vorschaupakete von Rowohlt und Hanser aufreißt und sich über einen neuen Auster oder T.C. Boyle freut, als hätte man noch kein einziges Buch auf dem Nachttisch liegen."

Oh, wie gut kann ich sie verstehen. Geht es mir doch genauso - vielleicht nicht gerade mit Neuerscheinungen, ich stöbere ja lieber nach Büchern, die schon ein paar Jährchen auf dem Buckel haben. - Es ist wirklich eine Sucht.

Auf lockere Art und mit leichtem Humor versehen, erfahren wir, wie das Buchhändler-Leben so funktioniert. Wie viel Arbeit dahinter steckt, aber auch die Freude, seinen Traum zu leben, sei es auch noch so anstrengend. Petra Hartlieb betont aber auch immer wieder, dass sie es ohne die viele Hilfe von Freunden und Bekannten ganz sicher nicht geschafft hätten.

Und als ob es nicht reicht, eine Buchhandlung zu führen, schreibt Petra Hartlieb so ganz nebenbei noch ein Buch. Zwar in Kooperation mit einem deutschen Literaturkritiker, aber immerhin. Und das wird dann auch noch im Diogenes-Verlag verlegt. Und bei nur einem Buch bleibt es nicht.

Und es bleibt auch nicht bei nur dieser einen Buchhandlung. Aber das müsst ihr selbst lesen. Mir dreht sich da langsam der Kopf.

Ich frage mich, wo die Frau die Energie hernimmt. Aber eines weiß ich: Würde ich in Wien leben, wäre ich Stammkundin bei ihr. So bleibt mir aber nur, mir noch ein Buch von ihr zu kaufen und zu lesen, wie es Weihnachten in der Buchhandlung der Hartliebs zugeht. Darauf freue ich mich schon.

Sonntag, 21. September 2025

Hansjörg Schertenleib: Das Regenorchester

Die Geschichte wird von einem Schriftsteller erzählt, der hier als Ich-Erzähler auftritt. Seine Frau hat ihn verlassen, womit er doch zu kämpfen hat. Eines Tages lernt er die ältere Niamh kennen, eine Irin, die ihm ihre Lebensgeschichte erzählt. Wir befinden uns also in zwei Zeitzonen. Einmal im Heute beim Schriftsteller und zurück in Niamhs Jugendzeit. Sie hatte eine relativ gute Kindheit. Die Eltern sorgten immer dafür, dass Essen im Haus war. Es gab also auch Familienväter, die ihr Geld nicht versoffen haben.

Nach dem Tod eines Bruders kam ihre Mutter nicht mehr mit ihrem Leben zurecht und starb dann auch bald. Niamh ging wegen der Arbeit nach London und verbrachte dort ihre jungen Jahre. Sie lebte anfangs mit ihrer Schwester zusammen, die schon vorher von zuhause auszog. Doch eines Tages verliebte diese sich in einen Schotten und so trennten sich die Wege der Schwestern.

Ich fand es spannend, die Geschichte mal aus der Perspektive einer Frau zu erleben. Bisher weiß ich nur von Männern oder ganzen Familien, die Irland verlassen haben, um ihr Glück woanders zu versuchen.

Hansjörg Schertenleib hat einen angenehmen Schreibstil. Und zwischendurch laufen mir richtige Perlen über den Weg, wie zum Beispiel:

"Auf dem Heimweg hatte mir mein Vater erzählt, wie die Welt zu ihren Seen gekommen war: Vor langer Zeit, als es noch nichts gab, nicht einmal Seen, fasste sich ein Junge in meinem Alter ein Herz und schleuderte mit aller Kraft einen Stein in den Himmel, um ihn in tausendundzwei Scherben zu zersplittern. Diese Scherben fielen auf die Erde nieder und blieben zwischen Tälern, Bergen und Hügeln liegen. Seither spiegelten sie das, was sie früher einmal selbst gewesen waren: Himmel..."

Klingt das nicht gut?

Rolf Vollmann: Der Romannavigator

Buchinfo

Als gewaltiger Romanverschlinger und verschlagener Leseverführer ist Rolf Vollmann spätestens seit "Die wunderbaren Falschmünzer. Ein Romanverführer 1800 bis 1930" landauf, landab bekannt.

Mit diesem neuen Buch entfacht Vollmann die Lesewut der Deutschen von neuem: zweihundert Romane hat er ausgesucht, lauter Lieblingsromane, von 1959 bis 1759 reicht der zeitliche Rahmen. Von Günter Grass bis Laurence Stern, von Alexis bis Zola, lustvoll schöpft Vollmann aus dem Vollen und unternimmt bei seinem Romanstreifzug gleich noch eine Tiefenbohrung zu den Wurzeln des Genres - denn vom Bekannten und Vertrauten gräbt er sich Jahr für Jahr den Anfängen der Gattung näher, steigt mit leuchtender Lesefackel dorthin hinab, wo mit einem prächtigen Feuerwerk der moderne Roman begann.



Frauen: 19 Beiträge

Männer: 181

Was für ein Armutszeugnis, sowohl vom Autoren als auch vom Verlag, der im Klappentext großspurig von aus dem Vollen schöpfen schreibt. 
 

Samstag, 20. September 2025

Kristin Valla: Ein Raum zum Schreiben

Aus dem Norwegischen von Gabriele Haefs
mareverlag, 2025

Buchinfo

Als Kristin Valla mit Anfang vierzig feststellen muss, dass sie ihren schriftstellerischen Schaffensraum zwischen Kindererziehung und Brotjobs längst verloren hat, fasst sie den Entschluss, ihn sich zurückzuerobern, und begibt sich auf zwei parallele Reisen. Die erste führt sie - auf der Suche nach einem eigenen Arbeitsdomizil am Meer - nach Südfrankreich, die zweite auf die Spuren berühmter Literatinnen wie Selma Lagerlöf oder Toni Morrison, für die das Recht auf einen eigenen Raum zum Schreiben alles andere als selbstverständlich war.

"Ich liebe alles an diesem Buch! Es ist aufmüpfig und widerspenstig, auch ratlos, suchend und traurig. Es ist zutiefst weiblich und zutiefst menschlich." - Mareike Fallwickl


Buchbeginn

Rückzug

Als ich klein war, hatte ich ein Spiel für die langen, schneereichen Winter von Nordland, wo ich aufgewachsen bin. Ich ging auf ein Feld, hinter der Trafostation, die das ganze Dorf mit Strom versorgte, und zeichnete die Umrisse eines Hauses. Mit den Füßen markierte ich, wo die Wände stehen sollten, ich machte Öffnungen für die Türen und Fenster, ich malte eine Veranda in den tiefen Schnee. Ich freute mich über mein Haus, ging oft hin und spielte dort allein.


Zitate

",Hier sitze ich und leide und kann nicht arbeiten', schrieb Amalie Skram im September 1893 an ihren Ehemann Erik Skram. ,Ich muss mich überhaupt vollkommen sicher und allein fühlen können, um über all diese Menschen zu schreiben. Ich darf keine Angst haben müssen, dass es klingelt, dass irgendein irdisches Wesen mich stört. Und deshalb, mein liebenswerter, immer so umgänglicher und fürsorglicher Mann, nimm hin, dass es ,absolut' notwendig ist, dass ich mir ein kleines Mansardenzimmer in der Nähe unserer Wohnung miete, wo ich mich ungestört an meine Arbeit setzen kann.'"


"Ich habe mich gefragt, wenn man irgendeinen Menschen allein in ein Zimmer setzt, ohne äußere Einflüsse, ob es dann am Ende dazu kommen wird, dass dieser Mensch anfängt zu schreiben", schreibt Kjersti Annesdatter Skomsvold in "Das zweite Verschwinden".


"In letzter Zeit ist mir aufgegangen, dass materielle Unsicherheit etwas davon ist, was in höchstem Grad die Kunst töten wird [...] Auf irgendeine Weise sehe ich den Roman, oder den nächsten Erzählungsband, als etwas, das nur passieren kann, wenn ich in meinem eigenen Haus bin und mit allem auf gute Weise umgehen kann." - Alice Waker


"Zum ersten Mal denke ich an Arbeitsbedingungen, wenn ich eine Wohnung teilen soll [...] Ich habe so viel an seine Bedürfnisse gedacht - was ist mit meinen? Ein eigenes Zimmer. Ein Schreibtisch. Schreibmaschine." - Alice Walker


"Ich habe angefangen zu trinken, und ich habe fünf Projekte, aber ich weiß nicht, wo ich anfangen soll. Eine dramatische Vorstellung, dass es nötig ist, kommunikativ zu sein - und warum sich morgens anziehen, wenn man das Werk niemandem zeigen will? Die Angst, selbst nicht genug Inhalt zu haben, ohne äußere Inspiration. Aber ich ,muss' mich isolieren." - Suzanne Brogger

 

Mittwoch, 17. September 2025

Stefan Bollmann: Warum Lesen glücklich macht

Buchinfo

Es gibt keine bessere, individuellere und vom jeweiligen Ort unabhängigere Unterhaltung als die des Lesens. Doch obwohl das Lesen so ohne Zweifel klug, selbstbewusst und glücklich macht, scheint der Leser (vor allem der männliche) in seiner Art bedroht zu sein. 

Stefan Bollmann, Autor der Bestseller "Frauen, die lesen, sind gefährlich" und "Frauen, die schreiben, leben gefährlich" legt ein tiefsinniges und unterhaltsames Buch vor über die Herkunft des Lesens aus dem Jagen und Sammeln, die Veränderung unserer Lesegewohnheiten und die Rolle des Lesens bei der Bewältigung von kritischen Lebensphasen. Vor allem jedoch führt er uns die Bedeutung des Lesens für unser Lebensglück vor Augen. "Warum Lesen glücklich macht" ist ein intelligentes und optimistisches Buch für alle bekennenden Leserinnen und Leser!



Buchbeginn

Aufbruch in den Wald

Achtzehn Monate seines Lebens verbrachte der Amerikaner Joseph Paccione in der Freiheit des deutschen Waldes. Dann kam die Polizei, stellte das heruntergekommene Haus, in dem er eine Bleibe gefunden hatte, auf den Kopf und nahm den Waldmenschen", wie ihn die Einheimischen mittlerweile nannten, fest.

Sonntag, 14. September 2025

Steven Gilbar: Bibliomania - Ein listenreiches Buch über Bücher

Wenn man mal das Vorwort außer Acht lässt, beginnt dieses Buch mit den "zehn unantastbaren Rechten des Lesers", die Daniel Pennac schon in seinem Buch "Wie ein Roman - Von der Lust zu lesen" preisgibt und die ich hier mal aufführen möchte:


1. Das Recht, nicht zu lesen

2. Das Recht, Seiten zu überspringen

3. Das Recht, ein Buch nicht zu Ende zu lesen

4. Das Recht, noch einmal zu lesen

5. Das Recht, irgendwas zu lesen

6. Das Recht auf Bovarysmus (d. h. den Roman als Leben zu sehen)

7. Das Recht, überall zu lesen

8. Das Recht, herumzuschmökern

9. Das Recht, laut zu lesen

10. Das Recht, zu schweigen


Dann geht es weiter mit Buchanfängen und hört logischerweise mit Buchschlüssen auf. Dazwischen ist das Buch gespickt mit Listen, Begriffen und Zitaten.

Hier ein paar Beispiele:

- Dreizehn unvollendete Werke

- Fünfzehn Schriftsteller, die Linkshänder waren

- Zwölf Klassiker der Kriminalliteratur

- Elf Ermittlerduos in angelsächsischen Krimis

- Das älteste Buch in deutscher Sprache

- Die Geschichte des Buches

- Das erste gedruckte Buch

und unzählige mehr.

Es ist ein wahres Vergnügen, sich durch dieses Buch zu stöbern. Man kann es von vorne nach hinten lesen, von hinten nach vorne oder es einfach mittendrin aufschlagen.

Es inspiriert vielleicht dazu, sich eigene Listen anzulegen oder man entdeckt für sich einen neuen Schriftsteller oder man hat einfach nur Spaß an diesem Buch.


Buchinfo

Buchbegeisterung findet sich auf Schritt und Tritt – in Lesezirkeln, Buchrezensionen, auf literarischen Webseiten, in Buchhandlungen, in Buchgemeinschaften, Bibliotheken, bei Bibliophilen, Bücherwürmern und gewöhnlichen Lesern. Trotz all der neuen, sich gegenseitig konkurrierenden Medien am angeblichen Ende der Gutenberg-Galaxie breitet sich die Bibliomanie fröhlich weiter aus.

In der vorliegenden Sammlung werden Sie viele spannende Informationen rund ums Buch finden - bedeutende und triviale, kreuz und quer arrangiert, so daß Sie irgendwo eintauchen, sich unterhalten und überraschen lassen kann.

Monica Gutiérrez: Der fabelhafte Buchladen des Mr. Livingstone

Buchinfo

Als die junge Archäologin Agnes Marti nach London zieht, um ein neues Leben zu beginnen, ahnt sie nicht, dass sie inmitten der schnelllebigen britischen Metropole eine Oase der Ruhe finden wird. Bei einem Erkundungsgang durch den Stadtteil Temple von einem plötzlichen Regenschauer überrascht, flüchtet sie sich in eine ganz besondere Buchhandlung namens ,Moonlight Books'. Edward Livingstone, der Eigentümer, sucht gerade nach einer Aushilfe, und während Agnes bei einer Tasse Tee wieder trocken wird, haben beide den Eindruck, dass das Schicksal sie nicht zufällig an diesem Ort zusammengeführt hat.
In den folgenden Tagen lernt Agnes nicht nur die Arbeit einer Buchhändlerin kennen und lieben, sondern auch ihren humorvoll-brummigen Chef, die eigenwillige Stammkundschaft und den Zauber des kleinen Buchladens, der seinen Namen einer pyramidenförmigen  Kuppel verdankt, durch die in den Abendstunden der Mond scheint. Bis eines Tages das wertvollste Buch von ,Moonlight Books' verschwindet, und ein hilfsbereiter Polizeiinspektor in Erscheinung tritt, um den Fall zu lösen und Agnes' beschauliches Leben durcheinanderzuwirbeln.
Ein märchenhaft schöner Roman über das kleine und das große Glück und darüber, wo man es findet.

Buchbeginn

Mr. Livingstone fand es abscheulich, dass Roberta Twist ihren einzigen Sohn auf den Namen Oliver hatte taufen lassen. Nicht weil er etwas gegen die presbyterianische Gemeinde oder die schauderhafte Kuppel der St.-Andrew-Kirche gehabt hätte, wo die Zeremonie damals stattgefunden hatte, sondern weil er der Meinung war, dass es einer gehörigen Portion Bosheit bedurfte, um von Montag bis Freitag ein Kind namens Oliver Twist vor seinem Buchladen auszusetzen.

 

Samstag, 13. September 2025

Will Schwalbe: An diesem Tage lasen wir nicht weiter

Will Schwalbe lebt als Autor in New York. Er war Journalist bei der New York Times und Cheflektor bei den Verlagen William Morrow und Hyperion. Nachdem er aus der Verlagswelt ausgestiegen ist, gründete er die Online-Kochrezeptsammlung Cookstr. Er lebt als Autor in New York.

Ich finde ja, der englische Titel "The End of Your Life Book Club" hört sich viel besser an.

Will Schwalbe erzählt vom letzten Jahr mit seiner Mutter, die an Bauspeicheldrüsenkrebs erkrankt ist und zu Beginn des Buches nicht weiß, wie lange sie noch zu leben hat. Dieser Krebs ist mit einer der schlimmsten, da er nicht so einfach aufzufinden ist. Man bemerkt ihn eigentlich erst, wenn er Metastasen gestreut hat, weil dann andere Organe angegriffen werden.

Will Schwabe erzählt über dieses Jahr nur aus seiner Perspektive, so, wie er das Jahr mit seiner Mom verbracht hat.

Zu einem Leseclub braucht man wenigstens zwei Leseratten. Und dieser spezielle Club begann mit "einer der beiläufigsten Fragen, die zwei Leute einander stellen können: 'Was liest du gerade?'"

In erster Linie habe ich mir das Buch gekauft, weil es hier ums Lesen geht und um Bücher. Aber dieses Thema war dann doch irgendwie die Nebensache, weil es hier hauptsächlich um Will Schwalbes Mutter geht, die hier um ihr Leben kämpft. Der Krebs kann zwar nicht geheilt werden, aber die Ausbreitung kann verlangsamt werden und damit vielleicht, mit ein wenig Glück, ein paar Wochen oder Monate gewonnen werden. Sie durchläuft die Chemotherapie, muss Fragen nach Schmerzen ehrlich beantworten, um die Medikamente richtig dosieren zu können. Dabei möchte sie das Wort "Schmerzen" gar nicht benutzen, sondern lieber davon reden, "wie unwohl sie sich fühlte".

Sie hatte gute und weniger gute Tage, wobei frustrierend war, dass sie nie wusste, was sie wann für einen Tag hatte, was natürlich die Lebensplanung beeinträchtigte. Feiertage waren zu planen, Besuche (auch in ihrem Büro) usw. Für einen Blog schrieb sie ihrem Sohn Beiträge, und zwar so, als wenn Will sie geschrieben hätte, der den Blog damit füllte. Es wäre einfach zu viel und zu anstrengend für sie gewesen, den vielen Kollegen, Freunden und Bekannten per E-Mail oder Brief zu schreiben.

Sie war eine beschäftigte Frau. Nicht nur, dass sie voll berufstätig war, sie war in der Flüchtlingshilfe beschäftigt. Und ein großes, wenn nicht ihr größtes Anliegen war es, in Afghanistan eine Bibliothek aufzubauen.

Über Mary Anne Schwalbe möchte ich unbedingt mehr erfahren. Im Internet habe ich leider keine deutsche Biografie über sie gefunden. Es existiert ein Filmchen, ich nehme an, ihr wurde dort die Ehrendoktorwürde verliehen.

Marina Vaizey, eine Freundin von ihr, sagte über sie:

[…]

Dieses Buch hat zwar ein trauriges Thema, ist aber absolut mutmachend. Diese Frau hört man nicht klagen. Ich weiß es nicht mehr wörtlich, aber als ihr Sohn fragt, ob sie es nicht als Unglück empfindet, zu wissen, dass sie sterben wird oder überhaupt diese Krankheit zu haben, meint sie, dass sie Glück hat. Sie hat die Möglichkeit, gute Ärzte um sich zu haben, die richtigen Medikamente zu bekommen. In einer Apotheke zahlt sie die Medizin für eine junge Frau, der diese plötzlich nicht mehr von der Kasse bezahlt wird.

Wenn ich die Angewohnheit von Wills Mom hätte, immer erst das Ende eines Buches zu lesen, hätte ich mir das Rausschreiben der Bücher während des Lesens ersparen können. Eine solche Leseliste ist nämlich am Ende zugefügt. Es stehen aber auch einige dabei, die nur benannt wurden.

Louisa May Alcott, Betty und ihre Schwestern

Dante Alighieri, Purgatorio (Göttliche Komödie)

W. H. Auden, "Musée des Beaux Arts" aus Collected Poems

Jane Austen

Russell Banks, Gegenströmung

Muriel Barbery, Die Eleganz des Igels

Ishmael Beah, Rückkehr ins Leben

Alan Bennett, Die souveräne Leserin

Die Bibel

Elizabeth Bishop

Roberto Bolano, Die wilden Detektive

The Book of Common Prayer

Geraldine Brooks, Auf freiem Feld; Die Hochzeitsgabe

Buddha, Das Diamant-Sutra

Lewis Carroll, Alice im Wunderland

Robert Chapman, Billy Budd, Bühnenfassung und Drehbuch, zusammen mit Louis O. Coxe

Sindy Cheung, "I am Sorrow" (Ich bin Leid)

Julia Child, Mastering the Art of French Cooking

Agatha Christie

Karen Connelly, The Lizard Cage

Pat Conroy, Der große Santini

Colin Cotterill

Roald Dahl, Charlie und die Schokoladenfabrik

Patrick Dennis, Tante Mame

Charles Dickens

Joan Didion, Wie die Vögel unter dem Himmel; Das Jahr magischen Denkens

Siobhan Dowd

Nancy Hatch Dupree

Dave Eggers

T. S. Eliot, Mord im Dom

Ralph Waldo Emerson

F. Scott Fitzgerald

Ian Fleming, Tschitti Tschitti Bäng Bäng

Ken Follett, Die Säulen der Erde

Esther Forbes, Paul Revere and the World He Lived In; Johnny Tremain

E. M. Forster, Wiedersehen in Howards End

Anne Frank, Das Tagebuch der Anne Frank

Erle Stanley Gardner

Nikki Giovanni

William Golding, Herr der Fliegen

Sue Grafton

Günter Grass, Die Blechtrommel

Die Haggadah

David Halberstam, The Coldest Winter

Susan Halpern, The Etiquette of Illness

Mohsin Hamid, Der Fundamentalist, der keiner sein wollte

Patricia Highsmith, Zwei Fremde im Zug; Salz und sein Preis; Der talentierte Mr Ripley

Andrew Holleran

Khaled Hosseini, Der Drachenläufer; Tausend strahlende Sonnen

Henrik Ibsen, Hedda Gabler

John Irving, Owen Meany

Christopher Isherwood, The Berlin Stories; Christopher und die Seinen

Jerome K. Jerome, Drei Männer in einem Bott

Ben Johnson, Volpone

Crockett Johnson, Harold and the Purple Crayon

Erica Jong, Angst vorm Fliegen

Jon Kabat-Zinn, Gesund durch Meditation; Im Alltag Ruhe finden; Zur Besinnung kommen

Walter Kaiser

Mariatu Kamara, Das Mädchen ohne Hände

Carolyn Keene, Nancy Drew (Serie)

John F. Kennedy, Profiles in Courage

Elizabeth T. King

Larry Kramer

Jhumpa Lahiri, Melancholie der Ankunft; Der Namensvetter; Fremde Erde; Einmal im Leben

Anne Lamott, Traveling Mercies

Stieg Larsson, Verblendung

Victor LaValle, Big Machine

Munro Leaf, Ferdinand der Stier, illustriert von Robert Lawson

Dennis Lehane

Donna Leon

C. S. Lewis, Die Chroniken von Narnia

Alistair MacLean, Agenten sterben einsam; Die Kanonen von Navarone; Souvenirs; Geheimkommando Zenica

Malcolm X, Malcolm X. Die Autobiographie

Thomas Mann, Tonio Kröger; Der Tod in Venedig; Der Zauberberg; Mario und der Zauberer; Joseph und seine Brüder

Ngaio Marsh

". Somerset Maugham, Der Menschen Hörigkeit; Der bunte Schleier; "Der Kirchendiener" (Kurzgeschichte)

James McBride, Die Farbe von Wasser

Val McDermid

Ian McEwan, Am Strand

Hermann Melville, Billy Budd

James Michener

Arthur Miller, Tod eines Handlungsreisenden

Rohinton Mistry, Das Gleichgewicht der Welt

Margaret Mitchel, Vom Winde verweht

J. R. Moehringer, Tender Bar

Toni Morrison

Daniyal Mueenuddin, Andere Räume, andere Träume

Alice Munro, Zu viel Glück

Iris Murdoch

Nagarjuna, Siebzig Strophen über die Leerheit

Soseki Natsume, Kokoro

Iréne Némirovsky, Suite Francaise

Edith Nesbit, The Railway Children

Barack Obama, Ein amerikanischer Traum

John O'Hara, Begegnung in Samarra

Mary Oliver, Why I Wake Early; darin enthalten "Where Does the Temple Begin, Where Does It End?" (Wo beginnt der Tempel, wo endet er?)

Frances Osborne, The Bolter

Sara Paretsky

Randy Pausch, Last Lecture: Die Lehren meines Lebens

Susan Pedersen, Eleanor Rathbone and the Politics of Conscience

Harold Pinter, Der Hausmeister

Reynolds Price, Feasting the Heart

Thomas Pynchon

Arthur Ransome, Swallows and Amazonas

Dr. David Reuben, Alles, was Sie schon immer über Sex wissen wollten, aber bisher nicht zu fragen wagten

David K. Reynolds, A Handbook for Constructive Living

F. W. Robertson

Marilynne Robinson, Das Auge des Sees; Gilead; Haus ohne Halt

David Rohde

John Ruskin

Tim Russert, Big Russ and Me

David Sedaris

Maurice Sendak, Wo die wilden Kerle wohnen; In der Nachtküche

Peter Shaffer, Equus - Blinde Pferde; Fünffingerübung

William Shakespeare, König Lear; Othello

George Bernard Shaw, Die heilige Johanna

Dr. Bernie Siegel, Prognose Hoffnung. Liebe, Medizin und Wunder

Alexander McCall Smith, Mma Ramotswe und der verschollene Bruder

Alexander Solschenizyn, Der Archipel Gulag

Wallace Stegner, Zeit der Geborgenheit

Edward Steichen, The Family of Man

Wallace Stevens

Lydia Stone, Pink Donkey Brown, illustriert von Mary E. Dwyer

Elizabeth Strout, Mit Blick aufs Meer

Josephine Tey, Der Erbe von Latchetts

William Makepeace Thackeray

Michael Thomas, Man Gone Down

Mary Tileston, Daily Strength for Daily Needs

Colm Toibin, Die Geschichte der Nacht; Das Feuerschiff von Blackwater; Porträt des Meisters in mittleren Jahren; Brooklyn

J. R. R. Tolkien, Der Hobbit; Der Herr der Ringe

William Trevor, Felicias Reise

Liv Ullmann

John Updike, Ehepaare; Die Tränen meines Vaters

Leon Uris

Marina Vaizey

Sheila Weller, Girls Like Us

Elie Wiesel, Die Nacht

Tennessee Williams, Endstation Sehnsucht

P. G. Wodehouse

Geoffrey Wolff, The Duke of Deception

Herman Wouk, Die Caine war ihr Schicksal; Marjorie Morningstar; Der Feuersturm

Einige dieser Bücher habe ich gelesen, einige stehen noch in meinem Regal. Aber die meisten kenne ich nicht. So einige möchte ich aber gerne kennen lernen. Und das sind ausgerechnet solche, um die ich bisher einen großen Bogen gemacht habe. Weil sie mir zu schrecklich vorkommen, weil ich mir nicht vorstellen mag, zu was Menschen fähig sein können.

Selbst Wills Mom, die dafür plädiert, dass jeder eine zweite Chance erhalten sollte, macht Ausnahmen.

Unbedingt lesen möchte ich „Rückkehr ins Leben“ von Ishmael Beah. Beah war ein Kindersoldat, der den Ausstieg geschafft hat. Und unbedingt lesen möchte ich „Das Mädchen ohne Hände“ von Mariatu Kamara, die ein Martyrium hinter sich hat und nicht aufgegeben hat.

In diesem Buch habe ich nur ansatzweise erfahren, was diese beiden Menschen in ihrem Leben erfahren haben. Und wenn sie es geschafft haben, darüber auch noch zu schreiben, werde ich wohl den Mut aufbringen, ihre Geschichten zu lesen.

Henrietta Hamilton: Sally-und-Johnny-Reihe


 Ich habe mich schon so manches Mal beschwert, dass bei den "Büchern über Bücher" so manche Autorinnen* auf diesen Zug aufspringen. Cover und Titel suggerieren, dass es um einen Buchladen geht, doch im Vordergrund steht nur eine Liebesgeschichte. 

Über die Reihe "Sally und Johnny" von Henrietta Hamilton bin ich dagegen positiv überrascht. Es handelt sich hier um Cozy-Krimis; das seit dem 2. Teil verheiratete Ehepaar klärt Kriminalfälle auf. Und das nicht auf die Art, dass sie sich immer hervortun, Gesetze übertreten und immer alles besser wissen, nein: Hier sind es die Dialoge, die ungeheuer Spaß machen. Und - was mir unheimlich gut gefällt, es geht - zumindest in den ersten beiden Fällen - immer auch um Bücher, Bibliotheken.

Von daher freue ich mich schon auf den angekündigten 3. Teil und hoffe, dass zwei weitere Bände noch übersetzt werden.



Freitag, 5. September 2025

Claudia Erdheim: Betty, Ida und die Gräfin - Die Geschichte einer Freundschaft

Buchinfo

Wien, Mitte des 19. Jahrhunderts: Zwei Schriftstellerinnen und eine Dame aus jüdischem Großbürgertum stehen im Zentrum dieses im besten Sinn historischen Romans. Claudia Erdheim lässt die porträtierten prominenten Persönlichkeiten wie die damalige kulturelle und politische Welt höchst eindrücklich lebendig werden.

Die zu ihrer Zeit berühmte Lyrikerin Betty Paoli, die Schriftstellerin Marie von Ebner-Eschenbach und die gebildete Ida Fleischl, die einen literarischen Salon unterhielt, verband eine enge Freundschaft. Die Dichterinnen lasen einander ihre entstehenden Werke vor, besprachen Inhalt und Stil und rauchten dabei leidenschaftlich Zigarren. Emanzipierte, hochintelligente Frauen, prominente Gäste wie Freud und das Ehepaar Laube, Sommerfrischen und die wichtige Rolle der Dienstboten: Diese Lebenswelt bildet den Hintergrund für Claudia Erdheims Roman, in dem sie den gemeinsamen Alltag der Protagonistinnen und die sozialen Spielregeln der Zeit in einer bestechenden Schärfe nachzeichnet.


Buchbeginn

Betty

Sie sieht aus wie eine, die eher Geschichten hat als Gedichte schreibt. Und doch ist ihre Erscheinung durchaus die einer Dichterin. Ihre Gestalt ist hager, der Kopf leicht nach vorn gebeugt, das Gesicht länglich, blass, edel. Sie hat eine hohe Stirn, üppiges schwarzes Haar, in der Mitte gescheitelt und seitlich gelockt, dunkle ruhelose Augen. Aristokratische Hände. Eine feine Habichtsnase. Um den Mund spielt ein satirisches Lächeln. In ihrem Wesen liegt etwas Leidenschaftliches, Konvulsivisches, das zwar unter scheinbar ruhiger Hülle glimmt, aber dennoch von <zeit zu Zeit hervorblitzt.


Zitat

"Die Kunst ist etwas Heiliges. Sie darf nicht von dem launenhaften Geschmack der Menge abhängig sein. Oder gar sich nach ihm richten."

 

Donnerstag, 4. September 2025

Alice Elliott Dark: Unsere Jahre auf Fellowship Point

Aus dem Amerikanischen von Margarita Ruppel und Marieke Heimburger

Buchinfo

Agnes und Polly sind ihr ganzes Leben lang eng miteinander verbunden: Schon als Kinder verbrachten sie jeden Sommer mit ihren Familien auf Fellowship Point an der Küste Maines und haben seither Glück und Kummer geteilt. Die fürsorgliche Polly hat ihr Leben ihrer Familie gewidmet, die unabhängige Agnes ihres dem Schreiben. Als die Zukunft von Fellowship Point auf dem Spiel steht und Agnes zudem von ihrem Verlag gedrängt wird, ihre Memoiren zu verfassen, geraten Dinge in Bewegung, die alles verändern könnten.


Buchbeginn

Ein perfekter Tag zum Schreiben, grau und ruhig, Aber ihr kam nichts in den Sinn. Kein Satz, kein Ausdruck, nicht einmal ein Wort, das festzuhalten wert gewesen wäre. Der Papierkorb war voll, der Stapel an Karteikarten beachtlich. Millimeterpapier voller Skizzen war ordentlich auf eine Filzunterlage an der Wand gepinnt. Die Stelle, an der sich sonst ihre brauchbaren Seiten sammelten, blieb jedoch ein leeres Nest.


Zitate

"Viele Frauen würden ihre Chance auf den Aufstieg verpassen, weil sie fleißig anstatt mutig seien. Und dann natürlich noch der Sexismus. Daran zweifelte Maud nicht, doch sie war auf ihre eigene Art feministisch und vertrat den Grundsatz, traditionell männliche Verhaltensweisen nicht nachzuahmen. Eine andere Welt war möglich, sowohl für Frauen als auch für Männer. Eine freiere Welt."

"Eva war viel klüger als Adam. Was wäre passiert, wenn Gott ihre Neugier gefallen hätte, wenn Gott die Welt entsprechend anders ausgerichtet hätte? Oder sind es die Autoren der Bibel gewesen, die die Wahrheit so zurechtgebogen haben, dass sie der Konsolidierung männlicher Macht diente?"

"Ich will ihr auf keinen Fall beibringen, vor allem Möglichen Angst zu haben, oder dass Manieren wichtiger sind als Gefühle, so, wie es uns beigebracht wurde. Ich weiß wirklich noch nicht, was frei genau ist, aber ich weiß, was es nicht ist."