Sonntag, 31. August 2025

Elke Heidenreich: Hier geht's lang!. Mit Büchern von Frauen durchs Leben

Frauenliteratur gibt es nicht. Genausowenig wie Linkshänderliteratur, Rothaarigenliteratur, europäische Literatur, Literatur der Nordhalbkugel. All diese Kategorien sind ebenso groß wie bedeutungslos.

Tragischerweise ist Frauenliteratur die einzige, die immer wieder als Knüppel hervorgeholt wird, mit dem man auf schreibende Frauen einschlagen kann.

A. L. Kennedy 


Die junge Elke Heidenreich kenne ich nur aus TV-Ausschnitten. Ich habe sie kennengelernt mit ihrer Sendung Lesen! beim ZDF. Und war unheimlich sauer, wie sie von dem geschasst wurde.

Glücklicherweise hat sie nicht aufgegeben und sich im WWW immer wieder einen Platz gesucht, um uns Bücher nahezubringen.

Und nun ihr ganz persönliches "Lese"buch. Die Lust, aufzuschreiben, was Bücher von Frauen mit mir und meinem Leben gemacht haben. 

Als Kind las sie Nesthäkchen und Trotzkopf. Das dort vermittelte Frauenbild hatte nun gar nichts mit ihrer Wirklichkeit zu tun. Später, als Studentin, musste sie unter lauter Männerliteratur wirklich suchen, um zu finden, was Frauen gedacht und geschrieben haben.

Frauen konnten erst seit dem 19. Jahrhundert um öffentliche Wahrnehmung und Anerkennung kämpfen. Männer konnten das Jahrhunderte zuvor. Endlich erfuhren Leserinnen, was bisher noch nicht gesagt und geschrieben wurde. Literatur von Frauen sind nicht nur Geschichten, sie ist auch politische Literatur.

Bücher von Frauen werden immer noch als Frauenliteratur betitelt. Sie schreiben ja nur über Frauen für Frauen. Männer schreiben Literatur. Für mich ist das Diskriminierung. Schreibende Frauen werden ausgegrenzt, mit zweierlei Maß behandelt. Schon in der Schule, auch heute noch, kaum sichtbar gemacht. Es wird immer noch gelehrt, was Männer für richtig erachten, wie sie die Welt sehen.

Für mich seit einiger Zeit ein Grund, vorrangig Frauen zu lesen. Auch, wenn man mir vorwirft, von vornherein die Hälfte der Literatur auszuschließen. Was ich in meinem bisherigen Leseleben ja wahrlich nicht getan haben. Aber solche Antworten bekommt frau halt, wenn ihre Texte nicht ordentlich gelesen werden. Und wenn Leserinnen* sich nur das rauspicken, was in ihr Weltbild passt.

Elke Heidenreich zitiert die mexikanische Dichterin Angeles Mastretta:

Wir Frauen verfügen über Schätze, Einsichten, die nirgends niedergeschrieben
sind und die an andere Frauen weiterzugeben unsere Pflicht ist.

Elke Heidenreich beginnt mit Kinderbüchern. In ihrer Gemeindebücherei gab es streng geteilte Regale für Mädchen und Jungen. Getaugt haben die Bücher alle nicht. Doch dann gab es ja noch Die Schatzinsel und Robinson Crusoe - das haben sie alle gelesen. Über Enid Blyton schwärmt sie, sie soll gesagt haben, Kritik von Leuten über zwölf interessiere sie nicht.

Für Elke Heidenreich waren die Geschichten in den Büchern alle wahr, nur ihr eigenes Leben war langweilig. Bis sie eines Tages begriff: Die Phantasie ist das, was uns in den Büchern am Leben hält. Man kann sich Geschichten einfach ausdenken! Bis sie dann mit zehn, elf Jahren eigene Geschichten schrieb.

Und Elke, Nesthäkchen oder Heidi konnten ihr keinen Weg weisen. Da erging es dann anderen Kindern besser, die später mit Astrid Lindgren aufwachsen durften. Doch für die war Elke Heidenreich mittlerweile zu alt. Aber sie hat Lindgren noch als Autorin des Buches Das entschwundene Land kennengelernt, in dem es vorrangig um die wundervolle Liebesgeschichte ihrer Eltern geht. Ich empfehle das Buch wärmstens.

Von den Klein- und Jungmädchen-Büchern findet Elke Heidenreich dann den Weg zu den Märchen der Gebrüder Grimm, Christian Andersen, um dann in die brutale Welt der Sagen zu geraten: Bis in den Traum haben mich nach all den Nesthäkchen diese Geschichten verfolgt, auf die ich durch nichts vorbereitet war! Und hier deckte sich so langsam das, was sie las, mit ihrer Lebenswirklichkeit.

Es ist ein Vergnügen, Elke Heidenreichs Lesen in den verschiedenen Lebensbereichen zu lauschen. Ja, lauschen, denn ich habe beim Lesen das Gefühl, als höre ich sie erzählen. Sie schreibt liebevoll, ironisch, auch kritisch über die Literatur, die ihr damals in jungen Jahren zur Verfügung stand und die, die sie sich später selbst aussuchen konnte.

Ich lese ja auch, seit ich denken kann, eines allerdings hat mir Elke Heidenreich voraus, um was ich sie beneide: Es ist qualvoll, wenn niemand einem weiterhilft, aber ich hatte wenigstens meine Mutter, die früh erkannte, was ich brauchte, und die mich bei aller sonstigen Härte immer darin bestärkte, zu lesen.

Und als sie davon schreibt, dass sie, nachdem sie alles gelesen hatte, was die heimische Bibliothek hergab - so wenig es auch war - Buchhandlungen besuchte. Das erste Buch, dass sie sich vom Taschengeld kaufte, war Kleiner Mann, was nun? von Hans Fallada. Eine billige rororo-Ausgabe. Da stelle ich mal wieder fest, was für ein Spätzünder in punkto guter Literatur ich bin. 

Interessant auch, wie sie darüber schreibt (anhand von Vom Winde verweht von Margaret Mitchell), wie man ein Buch lesen kann. Den Film (er kam erst 1953 in die deutschen Kinos) kannte sie damals noch nicht. Heute wird über die Geschichte hauptsächlich als Liebesgeschichte erzählt, Elke Heidenreich hat das Buch damals als Geschichte über den amerikanischen Bürgerkrieg mit einer Liebesgeschichte dabei gelesen. 

Dann kam die Studienzeit: Germanistikstudium. Es gab einige Werke aus der Sturm-und-Drang-Epoche, die man gut lesen konnte. Was es verleidete, war die Sekundärliteratur.

Und Autorinnen? Bis zur Romantik eigentlich kaum. Nur ein paar ganz wenige, die aber unter demütigenden Umständen veröffentlichten. Sie durften als Frauen gar nicht zu erkennen sein.

Als Agatha Christie vier Jahre alt war, sagte das Kindermädchen zu ihrer Mutter: Ich fürchte, Madam, Agatha kann lesen.

Die Zitate von damaligen Männern über schreibende Frauen machen mich heute noch wütend. Was müssen sie für eine Angst vor Frauen haben. Für eine Angst vor Machtverlust, dass sie sie dermaßen unterdrückten und in ihrer Bildung und Entwicklung beschnitten. 

Kein Wunder, dass sich schreibende Frauen bis in die Gegenwart auch das Leben nahmen. Ja ja, ich höre schon den Aufschrei: Männer haben sich auch umgebracht. Ja, aber sicherlich nicht, weil die Gesellschaft sie nicht schreiben lassen hat. 

Durch den DDR-Bücher-Blog beschäftige ich mich ja viel mit DDR-Büchern. Es gab viele tolle Reihen, auch zu Klassikern. Doch auch hier, wo die Gleichberechtigung doch so hoch gehalten wird, sind die Frauen kaum vorhanden. Auch bei Biografien-Reihen kommen äußerst selten Frauen vor - und wenn, dann immer dieselben. Diese Erfahrung hat Elke Heidenreich auch gemacht, als sie sich in den 1960er Jahren bei ihrer Rückkehr von Berlin nach München mit DDR-Klassikern eindeckte. Einzige Frauen: die Droste und die Ebner-Eschenbach!


Ich brauche nicht raten. Habe nach "Sterben" von Knausgard nicht weitergelesen, dafür alle drei Büchlein von Tove Ditlevsen verschlungen.

Elke Heidenreich wurde oft belächelt für das, was sie tut. Doch sie sagt von sich, sie sei keine Literaturkritikerin: Ich möchte bis zuletzt die Leidenschaft für das Lesen wecken und vermitteln. Ja, genau das ist es, was ich auch möchte. Büchern viele Leserinnen wünschen. Von daher auch dieser Blog.

Ja, Elke Heidenreich hat auch Autoren gelesen, konnte sich auch für den ein oder anderen begeistern, doch wichtig für ihr Leben waren dann doch eher Autorinnen.

Mit einem letzten Zitat von Elke Heidenreich schließe ich jetzt und wünsche, dass dieses wunderbare Buch viele Leserinnen findet:

Mehr als zwanzig dicke Leitzordner mit Buchbesprechungen stehen auf meinem Speicher, und wenn ich mir das heute anschaue, frage ich mich, ob ich eigentlich immer nur gelesen oder auch gelebt habe.

Hat sie 😀

Hier unterhält sich Volker Weidermann mit Elke Heidenreich über ihr Buch und das Lesen.


Buchbeginn

Hier geht's lang!

Wo geht's lang? Und was eigentlich? Ach, das Leben, das Lesen, wie kann man das begreifen, was alles mit einem geschieht, wie kann man es verarbeiten, ohne mit anderen Menschen darüber zu reden, aber auch ohne in Büchern wiederzufinden, was einen selbst an- und umtreibt?

Tillie Olsen: Was fehlt - Unterdrückte Stimmen in der Literatur (1978)

 Buchinfo

Anhand verblüffender Aussagen von Schreibenden beleuchtet Tillie Olsen, auf welch vielfältige Weise der schöpferische Geist seit jeher unterdrückt wurde. Neben den großen Gestalten wendet sie sich vor allem den Marginalisierten zu, den Schriftstellerinnen, deren Kräfte in Häuslichkeit und Mutterschaft aufgerieben wurden, deren soziale Herkunft, sexuelle Orientierung oder Hautfarbe zu Ausgrenzung und Isolation führten. Sie öffnet den Blick für jene, die aufgrund der Umstände überhaupt keine Sprache finden konnten und einzig als Leerstellen in der Literatur auszumachen sind. Denn erst wenn wir anerkennen, was fehlt, können wir unsere Gesellschaft und die Literatur, die sie hervorbringt, richtig verstehen.


Buchbeginn

Die Geschichte, ja die Gegenwart der Literatur ist in den Mantel des Schweigens gehüllt: Bald ist es das jahrelange Schweigen anerkannter Größen der Literatur, bald ein Schweigen im Verborgenen; manchmal das Verstummen, nachdem ein Werk erschienen ist; manchmal die Tatsache, dass es gar nicht erst zu einer Veröffentlichung in Buchform kommt.

Was passiert in dieser Zeit mit der Schöpferin oder dem Schöpfer, mit dem schöpferischen Prozess? Was braucht das Schöpferische, um sich verwirklichen zu können? Ohne die Absicht oder den Anspruch, literaturwissenschaftlich vorzugehen, verspürte ich im Laufe der Jahre das Bedürfnis, alles darüber zu lernen, was ich in Erfahrung bringen konnte, blieb ich doch selber fast stumm und musste die Schriftstellerin in mir wieder und wieder sterben lassen.

Samstag, 30. August 2025

Thomas Montasser: Der Club der Bücherfeen

 Buchinfo

Eigentlich ist Patrick Iordanescu studierter Komponist. Aber wer braucht schon einen Tonsetzer heutzutage – einen rumänischen obendrein? Deshalb schlägt er sich in Deutschland als Paketbote durch. Als solcher lernt er viel über die Menschen, an die er täglich seine Sendungen zustellt. Besonders neugierig macht ihn eine Unbekannte, die sich ständig Bücher liefern lässt. Als er eines Tages ein Päckchen mit Dessous vor ihrer Tür hinterlässt, ist seine Phantasie nicht mehr zu zügeln. Jetzt will er die geheimnisvolle Frau, die nie zu Hause ist, kennenlernen. Aber das gestaltet sich schwieriger als erwartet … Dafür lernt er eine überaus kluge Buchhändlerin kennen, einen äußerst gewitzten und belesenen Jungen, einen erstaunlichen Lese-Club – und schon bald wird aus seinem Lieferwagen ein Bücherbus, der die Nachbarschaft mit Lektüren versorgt und den Paketboten auf Umwegen seinem Ziel näherbringt. Auch wenn es ein ganz anderes ist, als angenommen. 

Eine Geschichte über die Macht der Phantasie, die Freuden des Lesens und – natürlich – die verschlungenen Pfade der Liebe.


Buchbeginn

Okay, genau genommen war es dieses eine Paket gewesen, auf das findige PR-Leute eine hübsche Schleife gedruckt hatten. Im Grunde hielt Victor sich nicht für einen Macho. Jedenfalls hätte er sich nicht für einen Macho gehalten, wenn er jemals auf den Gedanken gekommen wäre, darüber nachzudenken. Dabei dachte er viel über sich nach. Über seine Arbeit. Über seine seltsamen Lebensumstände. Über seine Herkunft, ja, auch das. Und damit stets verknüpft: über sein Schicksal.

Freitag, 29. August 2025

Charlie Lovett: Der Buchliebhaber

Buchinfo

Arthur Prescott ist glücklich mit seinem Leben im beschaulichen Barchester. Er unterrichtet an der Universität und verbringt seine Freizeit am liebsten in der Bibliothek der Kathedrale, deren Geschichte er recherchiert. Doch ausgerechnet seine wichtigste Quelle, das "Buch der Ewolda", gilt als verschollen. Seit Jahren sucht Arthur vergebens nach dieser mittelalterlichen Handschrift, als nun auch noch ein Eindringling seine Arbeit stört: Die junge Amerikanerin Bethany Davis ist nach Barchester gekommen, um die Bestände der Bibliothek zu digitalisieren. Ein Sakrileg in den Augen des bibliophilen Arthur. Doch Bethany erobert schließlich nicht nur Arthurs Herz, sie hilft ihm auch, das Rätsel des verschwundenen Manuskripts zu lösen...


Buchbeginn

Die Marienkapelle jenseits des Hochaltars am östlichen Ende der Kathedrale beherbergte einst den Schrein der heiligen Ewolda, Gründerin des angelsächsischen Klosters, auf dem die Kathedrale erbaut wurde. Im Zuge der Reformation wurde der Schrein abgerissen, und mehr als fünf Jahrhunderte lang erinnert nur ein einfaches, schwarzes Steinkreuz im Boden an seinen Standort. Über Ewolda ist nur wenig bekannt, abgesehen von einer Erwähnung durch Beda Venerabilis: "Am zwölften Oktober wird der heiligen Ewolda gedacht, einer Märtyrerin, die das Königreich Barsyt bekehrte und dort ein Kloster gründete. Sie opferte ihr Leben, damit das Licht Christi dort weiter leuchten konnte."


Zitat

"Penguin-Ausgaben waren ein Wunder an Verlagsdesign. Sie lagen perfekt in der Hand, die Seiten blätterten sich geschmeidig wie Sahne, die aus dem Krug rinnt, und während die meisten alten Taschenbücher irgendwann auseinanderfielen, reiften Penguins. Sie sammelten braune Stockflecken auf Einband und Seiten und absorbierten den dezenten Geruch von Pfeifen, Feuchtigkeit und langen Spaziergängen auf dem Land. Arthur schlug bei seinem Lesezeichen auf, drückte die Nase ins Buch und atmete tief ein. Ja, das würde ein wundervoller Nachmittag werden, dachte er, ließ sich auf seinen Stuhl nieder und begann zu lesen." 

Charlie Lovett: Jane Austens Geheimnis

Buchinfo

England 1796. Während ihrer Arbeit an einem Roman begegnet die junge Jane Austen dem reizenden Reverend Mansfield. Schon bald verbindet sie eine tiefe Freundschaft mit dem älteren Herrn, der Janes schriftstellerische Versuche sehr bewundert. Auch Mansfield selbst hat bereits etwas veröffentlicht: eine Sammlung erbaulicher Erzählungen mit dem Titel "Ein kleines Buch allegorischer Geschichten". Nun bereitet er die zweite Auflage dafür vor, eifrig unterstützt von Jane Austen.
Im London der Gegenwart hat Sophie Collingwood gerade einen Job in einem Antiquariat angetreten - und steht schon vor einer großen Herausforderung: Kurz hintereinander bitten zwei unterschiedliche Kunden Sophie darum, ein obskures 'Werk ausfindig zu machen: Reverend Mansfields "Kleines Buch allegorischer Geschichten". Beide Kunden bestehen zudem auf einem Exemplar aus der zweiten Auflage von 1796.
Was hat es mit diesem Buch auf sich? Durch ihre Recherchen kommt Sophie einem Geheimnis um Jane Austen auf die Spur, das sie in höchste Gefahr bringt. 


Buchbeginn

Strenton, Hampshire 1796
Jane genoss ihre einsamen Spaziergänge sehr, und so war sie weiter gelaufen als beabsichtigt, in Gedanken mehr bei der Geschichte, die sie bald zu schreiben hoffte, als bei dem Buch, das sie vor Kurzem gelesen hatte. Der Anblick einer unbekannten Gestalt, die über ein Buch gebeugt auf einem Zaunübertritt saß, riss sie aus ihren Tagträumen. Auf den ersten Blick wirkte der Mann düster - er trug eine schäbige Kutte, auf seinem faltigen Gesicht lag ein grimmiger Ausdruck, und in seiner alten Hand hielt er zweifellos eine Sammlung von angestaubten Predigten.

Donnerstag, 28. August 2025

Alexander Sury: Ruth Binde - Ein Leben für die Literatur

Ruth Binde ist eine äußerst interessante Frau, Persönlichkeit.

"Dein Leben ist zu interessant, man kann es nicht einfach so zur Seite legen", schrieb Lukas Bärfuss nach der Lektüre der Biografie der Presseagentin Ruth Binde. Und Siegfried Lenz, den sie vor Jahren für den Hoffmann & Campe Verlag betreute, meinte: "Ohne den Beistand von Ruth Binde kann man in der Schweiz nicht heimisch werden."

Laut Inhaltsangabe unterstützte Ruth Binde 15 Jahre lang den Aufbau des Diogenes-Verlages. Ich finde das sehr tief gestapelt. Da hilft auch das beigefügte Wörtchen "maßgeblich" nicht. Sie fing als "Mädchen für alles an", lektorierte, übernahm dann die Pressearbeit und bekam zusätzlich noch den Aufbau eines Theaterverlags aufgenackt. Und all das in einem Halbtagsjob. Mit einem Mann, der beruflich in seiner Arbeit aufging, kaum zu Hause war, später eine Freundin hatte und einem kleinen Kind.

Keine Frage, Ruth Binde liebte ihre Arbeit und sie betont, wie viel sie von Daniel Keel gelernt hat.

Als in immer kürzeren Abschnitten immer mehr Verlagsmitarbeiter kündigten, und sie das Gespräch mit Daniel Keel suchte, meinte er lapidar, sie könne ja gehen, wenn ihr was nicht passt. Und sie nahm ihn beim Wort. Sein Blumenstrauß und eine Entschuldigung konnten das nicht wieder gut machen. Sie sah nicht, dass das ehrlich gemeint war. Rudolf C. Bettschart, der den Verlag Mitte der 60er Jahre vor der Insolvenz rettete, sprach die letzten Wochen, bevor sie schlussendlich ging, kein Wort mehr mit ihr. Er meinte nur, dass sie einen Psychiater bräuchte.

Kein Wort der Anerkennung für ihre geleistete Arbeit!!!

Was Ruth Binde in diesem Verlag geleistet hat, erkennt man vielleicht daran, dass nach ihrer Kündigung (die übrigens ein Sprung ins kalte Wasser war) für ihre Tätigkeiten drei neue Leute eingestellt wurden.

Doch was nun? Mut machten ihr zahlreiche Reaktionen von Verlagsleuten, Journalistinnen und Redaktoren. Hier einige Beispiele:

Peter Zeindler, damals Kulturchef beim Schweizer Fernsehen:

"Ich könnte mir vorstellen, dass es für Herrn Keel nicht einfach sein wird, einen ebenbürtigen Nachfolger zu finden."


Margrit Sprecher, Journalistin, damals bei der "Elle":

"Sie werden uns bei Diogenes sehr, sehr fehlen, denn manche unserer besten Dinge verdanken wir Ihnen und Ihrer ,raschen Schaltung'."


Ruth Liepmann, Literaturagentin, erlitt einen "richtigen Schock":

"Ich habe Ihre Arbeit seit vielen Jahren verfolgt und Sie sehr bewundert, wie Sie sozusagen aus dem Nichts bei Diogenes den Theaterverlag aufgebaut und wie Sie die Nebenrechte verwaltet haben."

Doch wie soll es nun weitergehen? Sie muss schnell eine Arbeit finden. Die Alimente kommen nur unregelmäßig und sie hat immer nur halbtags gearbeitet. Andere Leute würden Stellenangebote studieren. Aber Ruth Binde will sich eine auf ihre Fähigkeiten zugeschnittene Position schaffen, etwas Neues: Presseagentin im Kulturbereich mit Schwerpunkt Buch.

Und sie schafft es: Nach einem Besuch in Hamburg beim Verlag Hoffmann und Campe wird sie dessen Presserepräsentantin für die Schweiz und Österreich.

Aber auch außerhalb des Verlages nimmt sie Aufträge an. Und so folgen viele Namen von Künstlern, von denen mir die meisten nicht bekannt sind. Doch über Ruth Binders vielseitige Tätigkeit zu lesen, ist äußerst interessant.

Aus der Erinnerung weiß sie nicht mehr, warum sie bei Hoffmann und Campe gekündigt hat; sie glaubt, weil der Verlag ihrer Forderung nach mehr Geld nicht nachkam. So kam sie zum S. Fischer Verlag. Auch hier "sind die Kontakte mit den Autorinnen und Autoren für sie die ,Konfitüre auf dem Brot'".

Der Fischer Verlag war für Ruth Binde nicht die letzte Station. Doch wie ihr Weg weiter verlief, lest selbst.

Für viele Leserinnen* und Buchfreundinnen* hatte Ruth Binde sicherlich den perfekten Beruf. Doch es war mehr: Es war tatsächlich ein Leben für die Literatur.

Ruth Binde an ihrem 80. Geburtstag im März 2012:

"Ich weiß, dass ich auf dem Papier alt bin. Aber alt fühle ich mich erst, wenn ich nicht mehr lesen, nicht mehr meinen Balkon bepflanzen, nicht mehr meine Konfitüren einmachen und nicht mehr meine Freunde bewirten kann."


Buchbeginn

Ein starkes Fundament

Es ist Sonntagmorgen. Ein kleines Mädchen spielt im Wohnzimmer. Es ist vier oder fünf Jahre alt. Sein Vater sitzt am runden Tisch, vor sich einen Stoß Zeitungen, in der Hand eine Schere. Aus dem Radio erklingen wie immer um diese Zeit Opernarien. Der Vater blättert die Zeitungen durch und schneidet einzelne Texte aus. Die Ausschnitte werden in große gelbe Kuverts verteilt. Die nicht benötigten Zeitungsteile fallen wie große Schneeflocken auf das Mädchen nieder. Ruth fühlt sich sicher und geborgen.

Mittwoch, 27. August 2025

Ilka Piepgras (Hg.): Schreibtisch mit Aussicht

Während meiner Zeit auf Twitter (ist schon ein paar Jahre her), habe ich viel mitbekommen über die Ungerechtigkeiten im Literaturbetrieb. Sei es durch die Aktion #frauenlesen oder insbesondere #frauenzählen, die durch Nicole Seifert auf ihrem Blog "Nacht und Tag" 2019 angestoßen wurde. Und so sehr viel hat sich da noch nicht geändert. 

Nachdem ich noch das Vorwort von Ilka Piepgras in diesem Buch gelesen habe und was die Autorinnen in diesem Buch beigesteuert haben, habe ich fast alle meine Bücher, die von Autoren geschrieben wurden, aus meinen Regalen gepfeffert und Platz für Schriftstellerinnen geschaffen. 

Anne Tyler hat ihren Beitrag untertitelt mit "Ich schreibe nur". Das als Antwort auf die Frage einer Mutter: "Haben Sie schon Arbeit gefunden? Oder schreiben Sie nur?"

Von Anne Tyler habe ich schon einige Bücher gelesen, die ich alle sehr gut fand.

Die Figur eines Mannes mit Bart und Lederhut mit breiter Krempe trug Anne Tyler ziemlich lange schwanger, kam ihr doch immer wieder das Leben dazwischen. Mich hat es auch gewundert, mit welcher Ruhe sie es hinnimmt, nicht regelmäßig schreiben zu können. Ist sie es doch, die zu Hause alles stemmen muss. Aber: "Wahrscheinlich setzte ich mich ein Dutzend Mal in der Woche hin und grübelte gründlich über alles nach. Oft versuchte ich damit nur, mich zu überzeugen, dass auch mein Beitrag Bedeutung hatte." 

Egal, über welches Thema eine* Schriftstellerin* schreibt: "...ein gutes Buch ist ein gutes Buch, es spricht auf eine universelle Art zu uns, es verwickelt uns, lässt uns zweifeln und nachdenken, es macht uns hungrig und glücklich, niemals satt."

Bei den schreibenden Kolleginnen* erkennt man das, meint Eva Menasse, "aber wie zum Teufel macht man es selbst".

Sie selbst glaubt, man muss sich täglich an den Tisch setzen, wie der/die Beamte. Jeden Tag pünktlich, egal, wie kurz die Nacht war. Und fällt einem nichts ein, klappt es vielleicht mit dem Korrigieren. Und so ganz nebenbei gibt sie uns eine Kostprobe von dem, was sie besonders gerne macht: Sätze umschreiben: "Versunken wie ein Kind spiele ich stundenlang mit meinen eigenen Worten. Ich schiebe sie hierhin und dahin, streiche, ergänze, erfreue mich daran."

Elif Shafak macht sich Gedanken über Sprache, Heimat (Heimaten würde sie lieber sagen und das kann sie. Denn der Duden bejaht ihre Frage, ob es für Heimat auch einen Plural gibt). Türkisch ist die Muttersprache, die Zweitsprache Spanisch, danach erst Englisch. Und irgendwo war immer Französisch, die Sprache, die sie zuerst hörte, da sie in Frankreich zur Welt kam. Doch sie zog früh weg, sodass sie diese Sprache nie sprach.

Ja, sie hat einige Heimaten, ist aber auch Europäerin, Weltbürgerin: "Weltbürgerin zu sein heißt nicht, dass man kein Gefühl von Zugehörigkeit hat. Es heißt nicht, dass man ziellos, sorglos, verantwortungslos über allem schwebt.
Weltbürger sein heißt, dass du gleichzeitig ,hier' und ,überall' sein kannst. Es heißt, dass du deinen Ort, deine Kultur, dein Land von Herzen lieben kannst und dir gleichzeitig das Wohl des Planeten, die Zukunft der Welt am Herzen liegen kann. Unser Herz und unser Geist sind groß genug, um sich mit vielen Orten verbunden zu fühlen."

Ihre ersten Romane schrieb Elif Shafak auf Türkisch, doch mit dem späteren Englisch hatte sie mehr "Raum und Freiheit". Dafür, dass sie auf Englisch schreibt, wurde sie anfangs von türkischen Nationalisten als "Verräterin" beschimpft.

Elif Shafak lernte erst spät schreiben, aber früh lesen. Immer, wenn sie ein Buch durch hatte, fing sie noch einmal von vorne an und überlegte, was sie anders schreiben würde: "Irgendwo in meiner Seele hatte der Wind der Fantasie eine Tür aufgeblasen, und ich begann Schritt für Schritt ins Land der Geschichten zu wandern."

Ich habe noch nie in einem Text so viele "Ich erinnere mich..." gelesen wie in diesem von Mariana Leky. Sie erinnert sich an "eine Übung im Grundkurs Kreatives Schreiben" und es wird überhaupt nicht langweilig, ihren Erinnerungen zu folgen, auch wenn jeder Absatz mit "Ich erinnere mich..." beginnt.

Zum Beispiel erinnert sie sich, "dass wir in den Seminaren über unsere Texte sprachen, als seien sie begehbar. Wir gingen durch die Texte, wir sagten: Da muss neu verputzt werden, da steht was schief, da steht was sehr gut, da fällt was gleich um ... Ich erinnere mich, dass ich dachte: Das ist keine Schreibschule, das ist Innenarchitektur."

Von Joan Didion habe ich mir gerade "Woher ich kam" bestellt. Nun treffe ich sie hier im Buch. Ihrer Meinung nach ist  "Schreiben der Akt, ich zu sagen, sich anderen aufzudrängen, zu sagen: Hör mir zu, sieh es wie ich, ändere deine Haltung". Sie war keine Denkerin. Überhaupt wusste sie nur, was sie nicht war, "und ich brauchte Jahre, um herauszufinden, was ich war.
Ich war Schriftstellerin."

Für sie ist Grammatik ein Klavier, das sie nach Gehör spielt. Grammatik besitzt eine unendliche Macht. "Die Struktur eines Satzes zu verschieben heißt, die Bedeutung zu verschieben..."

Als sie "A Book of Common Prayer" begann, hatte sie zunächst viele Bilder im Kopf. Sie erfand Charlotte Douglas und wusste, warum sie zum Flughafen fuhr, auch wenn Victor es nicht wusste. Wenn Joan Didion auf die auftauchenden Fragen die Antworten wüsste, hätte sie diesen Roman niemals schreiben müssen.

Antonia Baum kann überall schreiben. Derzeit sitzt sie in einem Café und schreibt anscheinend an dem Text für dieses Buch. Zumindest schreibt sie uns persönlich an. Ihre Zeit fällt in zwei Teile: Der eine ist die Zeit, die sie mit ihrem Kind verbringt, die andere ist Arbeit. Der Teil der Arbeit betrifft aber nicht nur das Schreiben, sondern auch alles andere, was an Leben anfällt. Dann sind da noch die "systemerhaltenden Maßnahmen" wie den Mann ab und zu "außerhalb unserer Wohnung treffen", damit man sich weiterhin mag und sich nicht trennt. Auch soziale und berufliche Kontakte müssen gepflegt werden, da Antonia Baum hauptberuflich Journalistin ist und drittens muss man sich auch noch ein wenig um sich selbst kümmern.

Schreiben ist für sie eine große Sache und ihr Verhältnis dazu "nicht unsentimental und nüchtern und unaufgeregt und praktisch". Aber sie muss sich so verhalten, "um schreiben zu können, und darüber bin ich nicht glücklich".

Dass sie überall schreiben kann ist erst, seit sie ein Kind hat. Es geht gar nicht anders. Ihr Bücherschreiben hat nichts mit dem zu tun, wie Schriftstellerinnen* auf Kalenderblättern abgebildet werden. Ihr Schreiben am Buch ist durchgetaktet, da sie ja hauptsächlich journalistisch schreiben muss. Das Leben eines "in der Regel als männlich gedachten, weltabgewandten, schwebenden Schriftsteller-Schriftstellers" kann sich nur jemand leisten, der alleine ist oder viel Geld hat, oder aber "wem das Leben (die Kinder) vom Leib gehalten wird (in der Regel von Frauen)".

Antonia Baum überlegt, ob es klug ist, so viel Privates über Kind und so preiszugeben, kulturell gesehen ist das ja nichts Weltbewegendes. Zumindest nicht für Männer, die ja immer noch zum größten Teil über die kulturelle Deutungsmacht verfügen. Wenn es dann aber doch die ein oder andere Frau schafft, wird sie hauptsächlich von Frauen gelesen. Auch über Fragen von "Sexismus, sexualisierte Gewalt, Lohnungerechtigkeit" diskutieren hauptsächlich Frauen, also bleiben sie "in ihrem Frauen-Bereich". Die Männer werden sich mit diesen Themen nicht auseinandersetzen. Diese Themen interessieren wahrscheinlich ,nur' die Hälfte der Menschen und die hat wesentlich weniger Macht, "und das ist ein Dilemma, aus dem Frauen nicht herauskommen".

Kathryn Chetkovich schreibt in ihrem Beitrag vom Neid auf den Erfolg eines Schriftsteller-Mannes, den sie in einer Künstlerkolonie kennenlernte. Er sieht die größte Verantwortung darin, die Arbeit zu machen - also schreiben. Das Selbstverständnis, mit dem er darüber sprach, brachte Kathryn Chetkovich dafür nicht auf "für die Stunden, die ich tagträumend am Schreibtisch saß, wenn ich hübsche kleine Sätze aneinanderreihte". Für sie "war Arbeit immer der Job, für den ich bezahlt wurde, Dienstleistungen, die anderen zugutekamen".

Das erste, worum sie ihn beneidete, war, dass er an seine Arbeit glaubte.

Wieder daheim, entspann sich zwischen beiden ein Briefwechsel. Was konnte sie schon schreiben, außer über den kranken Vater, allerlei Erledigungen und Besuche im Krankenhaus. Er dagegen schrieb über "die Erfolge und Niederlagen an seinem Schreibtisch, wo er an einem Familienroman arbeitete" - ja, er hatte das Schriftstellerleben, das sie nicht führte. Und nicht genug, dass sie derzeit kein Schriftstellerleben hatte, löste das Wissen, dass er auch noch vorankam, "ein Gefühl von Scham und Verlassenheit in mir aus". 

Das Verhältnis mit dem Kollegen entwickelte sich nach dem Tod des Vaters. Sie telefonierten viel und später besuchten sie sich regelmäßig. Während sie sich vorstellte, wie er fieberhaft schrieb, schien ihr nichts mehr zu gelingen. Eine veröffentlichte Kurzgeschichtensammlung blieb ohne Erfolg, ja sie befürchtete, verlernt zu haben, wie man Geschichten schrieb.

Sein Buch wurde ein Erfolg und es war schwer für sie, damit umzugehen. Als Freundin konnte sie ihm sagen, wie sehr sie sich für ihn freut, doch als derzeit unglückliche Schriftstellerin ging sie auf Distanz.

Neid in seiner reinsten Form sieht Kathryn Chetkovich in einem Zitat von Dorothy Parker: "Ich würde so gern gut schreiben können, aber ich weiß, dass ich es nicht kann, dass ich es nicht geschafft habe. Bis an mein Lebensende werde ich immer alle bewundern, die es tun." 

Was soll Kathryn Chetkovich daraus nun schließen? Am besten arbeitet sie weiter.

Elfriede Jelinek ist eine der wenigen Frauen, die "die Machtverhältnisse zwischen den Geschlechtern [...] so scharfsinnig und radikal benannt" haben. Elfriede Jelinek, die auf E-Mails zumeist zügig und abschlägig reagiert, lässt sich mit einer Antwort an die Herausgeberin des Buches etwas mehr Zeit und bietet an, auf zwei, drei Fragen zu antworten: "Ich kann nicht mehr und will auch, ehrlich gesagt, nicht mehr."

1989 sagte sie in einem Interview, dass intellektuelle Leistung die Frau nicht aufwertet. Der Meinung ist sie heute immer noch. Ja, Frauen werden inzwischen etwas mehr gewürdigt, öfter ausgezeichnet, die Präsenz von Frauen wird geradezu eingefordert. Doch die großen Kulturschöpfungen kommen vom Mann: "Die Frau hat kein Werk." Ihr fehlt in der Diskussion das Wort "Verachtung". Nicht mal Feministinnen mögen es aussprechen. Doch Verachtung ist das, was die Frau für ihre Arbeit bekommt. Das weibliche Werk wird verachtet. Im Kanon, in dem es um die Verewigung geht, taucht kaum eine Frau auf.

Dienstag, 26. August 2025

Alan Bennett: Die souveräne Leserin

"Zwei Stunden pures Leseglück!" hat Elke Heidenreich kundgetan. Und ich kann ihr da aus vollem Herzen zustimmen. Allerdings habe ich mir noch einen Rest für heute Abend aufgehoben, sonst wäre das Vergnügen ja gestern schon zu Ende gewesen.

Mr. Hutchings staunt nicht schlecht, als eines Tages die Queen in seinem Bücherbus auftaucht. Das Buch, das sie sich ausborgt, nimmt sie bestimmt nur aus Verlegenheit mit, denkt er. Doch weit gefehlt. Auf seine Frage, wie weit sie es denn gelesen hat, antwortet sie bei ihrem zweiten Besuch:

Na, bis zum Ende. Wenn ich ein Buch anfange, dann lese ich es auch bis zum Schluss. So bin ich erzogen worden: Bücher, Butterbrote, Kartoffelbrei - was auf dem Teller ist, wird aufgegessen. Das war schon immer meine Philosophie.

Zu erleben, wie aus einem Verlegenheitsbuch die Liebe zu Büchern, zum Lesen in der Queen erwacht, ist einfach herrlich. Sie findet sogar eine Möglichkeit, dem Volk zuzuwinken und gleichzeitig, ohne dass es bemerkt wird, zu lesen.

Ihrer direkten Umgebung ist die lesende Queen allerdings nicht so geheuer.


Buchbeginn

Auf Windsor gab es ein abendliches Staatsbankett, und als der französische Präsident seine Position neben ihrer Majestät eingenommen hatte, reihte sich die königliche Familie dahinter auf, und die Prozession setzte sich langsam in Richtung Waterloo Chamber in Bewegung.

Montag, 25. August 2025

Charlie Lovett: Das Buch der Fälscher

Der US-amerikanische Romanautor Charlie Lovett stamm aus North Carolina und wurde 1962 geboren. Er ist Experte für das Werk und Leben von Lewis Carroll. Er besitzt die weltweit größte Sammlung von Erinnerungsstücken an die Zeit um Caroll und war zweimal Präsident der Lewis Carroll Society of North America. Er war ein Antiquariatsbuchhändler und wurde 2003 Mitglied des Grolier Clubs, dem ältesten und größten Club für Bibliophile in Nordamerika.

Leider wurden bisher nur drei Titel von Lovett übersetzt:

Das Buch der Fälscher
Jane Austens Geheimnis
Der Buchliebhaber

"Das Buch der Fälscher" und "Jane Austens Geheimnis" basieren auf seinen eigenen Erfahrungen als Antiquar und Bibliophiler.

Glücklicherweise habe ich alle drei Bücher und ich wünsche mir so sehr, dass er noch mehr dieser Art schreibt und die dann auch übersetzt werden.


Buchinfo

Nach dem tragischen Tod seiner geliebten Frau zieht sich Peter Byerly, Buchhändler und Antiquar, in ein kleines Cottage in einem verschlafenen walisischen Dorf zurück. Als ihm durch Zufall ein Manuskript mit handschriftlichen Notizen von William Shakespeare in die Hände fällt, scheint ein Traum wahr zu werden: Etwas Aufregenderes kann es für einen begeisterten Bibliophilen kaum geben. Aber ist es wirklich echt? Oder doch nur eine geschickte Fälschung? Gemeinsam mit der lebenslustigen Liz will er die Wahrheit herausfinden. Schon bald aber wird den beiden klar, dass es hier nicht nur um eine literarische Sensation geht … In seinem mitreißenden Roman erzählt Charlie Lovett die atemberaubende Geschichte eines Manuskripts, das ein jahrhundertealtes Geheimnis birgt, und zugleich eine bewegende Liebesgeschichte.


Buchbeginn

Hay-on-Wye, Mittwoch, 15. Februar 1995
Wales konnte kalt sein im Februar. Auch ohne Schnee oder Wind drang die feuchte Winterluft durch Peters Mantel und senkte sich in seine Knochen, als er vor einem der Antiquariate in den engen Gassen von Hay stand. Trotz des warmen Schimmers im Schaufenster, das ein verlockendes Angebot viktorianischer Bücher enthielt, beeilte Peter sich nicht, die Tür aufzustoßen. Es war jetzt neun Monate her, dass er eine Buchhandlung betreten hatte; da kam es auf ein paar Minuten nicht an. Es hatte eine Zeit gegeben, da hätte er nicht lange gezögert. Einen Laden mit seltenen Büchern zu betreten, war ein erregender Moment gewesen, andere Bücherliebhaber zu treffen ein Abenteuer.

Eva-Maria Altemöller: Ein Buch ist wie ein Garten, den man in der Tasche trägt

Buchinfo

Hier plaudert eine engagierte Buchhändlerin und Verfasserin mehrerer Bestseller aus dem Nähkästchen ihrer Erfahrungen und Erinnerungen - eine ebenso kluge wie amüsante und unterhaltsame Liebeserklärung an das Lesen und all die magischen Orte, an denen es Bücher gibt.

Die hinreißenden Illustrationen der Autorin und eine Auswahl der schönsten Zitate bekannter Persönlichkeiten machen dieses Geschenkbuch zu einem bibliophilen Leckerbissen für alle Bücherfreunde.


Buchbeginn

Das blaue Herz
Was das Deutsche Börsenblatt mit Jean-Jacques van Kempings einhundertfünfzehntem Geburtstag zu tun hat

Unlängst erzählte mir meines Großvaters bester Freund und Kupferstecher, der gute alte Jan-Willem van Köping, von einem seiner belgischen Cousins, zu dessen einhundertfünfzehntem (!) Geburtstag er eingeladen sei.


Zitat

"Die Bücher erfreuen uns im innersten Herzen.
Sie sprechen mit uns, sie raten uns,
sie sind uns in lebendiger,
beredter Vertrautheit verbunden.

Patrarca

Das war es! Das war die Lösung und ich fragte mich, warum ich nicht eher darauf gekommen war! Warum hatte ich nicht eher beherzigt, was mir meine Großeltern stets geraten hatten: Es ist völlig gleichgültig, welche Erwartungen deine Eltern an dich stellen und wie sie sich deine Zukunft wünschen, mach etwas, was du wirklich liebst - werde Buchhändler oder Meeresbiologe oder Schauspieler oder Stehgeiger, ganz gleich, ob es sich dabei um eine angeblich brotlose Kunst handelt oder nicht.
An diesem Tag beschloss ich ganz einfach das zu werden, was ich immer schon werden wollte. Ich gab meinen furchtbar öden, wenngleich gutdotierten Job in der Schweiz auf, pfiff auf alle Pensionsberechtigung, die Skiwochenenden und die ewigen Käsefondues und wurde - Buchhändlerin." 

Veronica Henry: Liebe zwischen den Zeilen

Buchinfo

Die Buchhandlung ihres Vaters Julius Nightingale ist für Emilia ein magischer Ort - hier hat sie eine glückliche Kindheit zwischen Büchern verbracht. Als Julius im Sterben liegt, kehrt die 32-Jährige von ihrer Weltreise in die englische Heimat zurück und gibt ihm das Versprechen, den Laden weiterzuführen. Nightingale Books ist zwar das Herzstück der Kleinstadt Peasebrook, schreibt aber schon lange keine schwarzen Zahlen mehr. Genau in diesem Moment taucht der charmante Jackson auf, der Emilia im Auftrag eines Großinvestors ein ansehnliches Angebot macht. Doch Freunde und Stammkunden entschließen sich, an ihrer Seite für die geliebte Buchhandlung zu kämpfen. Da ist Sarah, die Inhaberin des Herrenhauses Peasebrook Manor, die mit Julius eine heimliche Affäre verband, die schüchterne Thomasina, die sich zwischen Kochbüchern in den Käseverkäufer Jem verliebt, und der Musiker Marlowe, für den Emilia schon lange schwärmt. Werden sie gemeinsam Emilias Erbe retten können?


Buchbeginn

Prolog
Er hätte es niemals geglaubt, wenn man es ihm vor einem Jahr gesagt hätte. Dass er mit einem Baby im Kinderwagen in einem leeren Ladenlokal stehen und ernsthaft in Erwägung ziehen würde, ein Angebot dafür zu machen.
 

Sonntag, 24. August 2025

James A. Michener: Dresden, Pennsylvania

Lukas Yoder, Schriftsteller von Beruf, hat seinen achten und letzten Roman beendet. Emma, seine Frau, die ihren Karrieretraum aufgegeben hat und als Lehrerin arbeitet, damit Lukas schreiben kann, ist diesmal nicht ganz so euphorisch. Hat er doch in seinem letzten Buch die Ökoschiene betreten.

Lukas ersten vier Bücher floppten, die nächsten drei wurden gefeiert. Wie nehmen seine Fans nun den letzten Band auf?

Emmas Ahnen lebten 1640 in der Pfalz.

"Sie wurden von dem religiösen Feuer erfaßt, das ein Jahrhundert zuvor Martin Luther und Huldreich Zwingli entfacht hatten, wurden Wiedertäufer und verkündeten, es sei nicht nur dumm, sondern unbiblisch, Kinder gleich nach der Geburt zu taufen: 'Erst im Alter von siebzehn oder achtzehn ist ein Menschenkind alt genug, um den Sinn des Christentums zu begreifen. Dann erst kann es sich frei entscheiden und zur Taufe zugelassen werden.' Zum Beweis für ihre These führten sie Johannes den Täufer, Christus selbst und den Apostel Paulus an."

Für ihre Lebensweise wurden sie verfolgt und sogar hingerichtet. Auf Einladung des englischen Quäkers William Penn siedelten sie sich 1697 in Pennsylvanien an, wo sie sich in zwei religiöse Sekten spalteten: die Amish und die Mennoniten.

Emma kam aus einer Amishfamilie, Lukas aus éiner von Mennoniten.

Herman Zollicoffer "war ein stolzer alter Dutchman, dem es wichtig war, daß Sprache und Sitten seiner Leute der Welt korrekt vermittelt wurden".

Und so hat es sich Lukas zur Regel gemacht, das Geschriebene von Herman lesen zu lassen.

"Auf der Fahrt zu seiner Farm dachte ich über die heikle Situation nach, in der sich jeder, selbst der erfolgreichste Schriftsteller befindet, der ein Manuskript abgeschlossen zu haben glaubt. Es muß vor dem Urteil einer externen Autorität bestehen, in meinem Fall also vor Zollicoffer. Anschließend wird es vom Lektor auseinandergenommen. Falls es ausgesprochen kontroverse Themen behandelt, werden Juristen es nach eventuell verleumderischen Aussagen durchkämmen. Und zum Schluß muß irgendein Könner der Sprache jeden Satz auf Grammatik und Orthographie überprüfen. Und selbst nach solch aufmerksamer Betreuung kann ein Buch durchfallen, wenn es endlich an die Öffentlichkeit gelangt."

Dresden, Pennsylvania ist für mich echt ein Knaller. Wer sich ein bisschen für die Entstehung eines Buches interessiert, dem kann ich es wärmstens empfehlen. Die Geschichte wird aus viererlei Sicht erzählt: vom Autor, der Lektorin, dem Kritiker und der Leserin. Alle vier haben ihr eigenes Kapitel. Sie kennen sich untereinander alle. Besonders interessant ist, wie unterschiedlich sie ein und dieselbe Sache sehen.

Diese Geschichte scheint ein wenig aus der Rolle zu fallen. Michener hat bisher wohl hauptsächlich historische Romane geschrieben, in denen er sich mit einem bestimmten Land oder US-Bundesstaat von den Anfängen bis zur Gegenwart beschäftigt.

Diese Geschichte spielt zwar in Dresden, Pennsylvanien, die wahrscheinlich deutscheste Region Amerikas, und wir lernen einige urige Einwohner dieser Region kennen, aber hauptsächlich handelt das Buch von Büchern, der Literatur, dem Buchwesen. Der Originaltitel "The Novel" passt daher viel besser zum Buch, als der deutsche Titel.

Das Kapitel über die Lektorin Yvonne Marmelle hat mir sehr gut gefallen. Wir erfahren dort, dass sie schon als kleines Kind Bibliothekarin werden wollt. Das kam durch ihren Onkel Judah, der Bücher liebte, der sie schon frühzeitig an Jugendbücher heranführte, obwohl sie vom Alter her in der Bibliothek eigentlich nur Kinderbücher ausleihen dürfte.

Für Yvonne war es

"eine so sensationelle Erfahrung, mit dem Leben anderer Menschen in Berührung zu kommen, daß ich bei der Rückgabe des Buchs die Bibliothekarin fragte: ,Ist das alles tatsächlich passiert?' Und sie hat mir erklärt: ,Es ist passiert, aber nur im Kopf der Schriftstellerin. Und natürlich auch in deinem Kopf. Das macht einen Roman aus. Er ist ein Austausch von Träumen.'"

Schon in jungen Jahren konnte sie einen guten Roman unterscheiden von einem, der des Lesens nicht wert war. Yvonne wurde zwar nicht Bibliothekarin, dafür aber eine erfolgreiche Lektorin, die allerdings privat nicht viel Glück hatte.

Auch das Kapitel des Kritikers Karl Streibert ist sehr interessant und spannend. Und in dem der Leserin Jane Garland fügt sich dann alles zusammen. Hier treffen wir sie alle wieder und werden sehen, was aus ihnen wird. Wie sich nach Glück und Trauer ihr Leben weiterentwickeln wird.

Zum Schluss möchte ich noch ein Zitat bringen. Es sind Sätze von Leserbriefschreibern an Lukas Yoder, die es fast immer auf die gleiche Weise ausgedrückt haben (mir geht es auch oftmals so, wenn ich ein schönes Buch beende):

"Wenn ich mich den letzten Seiten eines Romans von Ihnen nähere, dann empfinde ich ein Gefühl ehrlichen Bedauerns, weil ich merke, daß ich eine Beziehung mit Figuren aufgeben muß, die ich liebgewonnen habe. Und eine Ecke der Welt wieder verlassen muß, wo ich lohnende Wochen und Monate verbracht habe. Ich lese nämlich langsam und gründlich. Wenn die Seiten weniger werden, kommt es mir vor, als ob mir etwas weggenommen würde, etwas Kostbares, das unersetzbar ist.

Vielleicht lachen Sie über das, was ich jetzt sagen möchte, aber wenn ich sehe, wie wenig Seiten mir noch bleiben, rationiere ich sie. Dann erlaube ich mir täglich nur einige wenige Seiten, und wenn die letzte Seite kommt und ich das Buch zuschlage, dann starre ich minutenlang auf die Karte auf dem Vorsatzpapier und bin mir bewußt, daß mich etwas Wertvolles angerührt hat."


Buchbeginn

Heute morgen - Dienstag, den 3. Oktober, um halb elf - habe ich den letzten Satz des Romans getippt, der beschließt, was von den Kritikern inzwischen als ,Grenzler-Oktett' bezeichnet wird - als ob ich von Anbeginn geplant hätte, acht zusammenhängende Bücher zum gleichen Thema zu schreiben. Nein, das hat sich zufällig so ergeben.

Samstag, 23. August 2025

Helene Hanff: 84, Charing Cross Road / Die Herzogin der Bloomsbury Street

Anfang 2007 habe ich das erste Mal das Buch erwähnt. Achtzehn Jahre ist das schon her. Achtzehn Jahre sind diese beiden Bücher von Helene Hanff meine absoluten Lieblingsbücher.

84, Charing Cross Road, wie liebe ich diese Adresse. Helene Hanff hat sie in mein Bücherherz gebrannt.

Sie selbst lebt in der 14 East 95th St. in New York City. Es ist das Jahr 1949, Oktober.

In der Zeitschrift „Saturday Review of Literature“ entdeckt sie eine Anzeige von Marks & Co. in der 84, Charing Cross Road in London. Ein Antiquariat. Was sie an antik denken lässt und für teuer hält. Sie schreibt einen Brief nach London, mit einer Bücher-Wunschliste.

Und so entsteht ein Briefwechsel, den jedes Leserattenherz höher schlagen lässt.

Es ist kein Roman, Helene Hanff hat keine geschrieben. Dieser Schriftwechsel fand wirklich statt. Man merkt zwischendurch auch, dass die Sammlung wohl nicht vollständig ist.

Dieser Briefwechsel fing geschäftlich an, weil sie in ihrer Gegend nicht die Bücher bekommen konnte, nach denen ihr der Sinn stand. Mit der Zeit wurde er aber privater. Sie verschickte an die Buchhandlung Lebensmittelpakete, da die in London nach dem Krieg knapp waren. Und so entspann sich auch zwischen den anderen Mitarbeiterinnen* und ihr ein schriftlicher Austausch.

Helene Hanffs größter Wunsch war es, einmal London zu besuchen. Doch erst 1971 sollte es ihr möglich sein, eine Lesereise zu machen. Da lebte Frank Doel schon nicht mehr (er starb 1969) und der Buchladen war geschlossen.


Die Erlebnisse dieser Lesereise sind dann in dem Buch "Die Herzogin der Bloomsbury Street" niedergeschrieben.

In ihrem Briefbuch "84, Charing Cross Road" konnte man immer wieder lesen, wie sehr es Helene Hanff nach London zog. Es war ihr Traum. Erst recht, wo sie doch durch ihren Briefwechsel mit dem Antiquariatsbuchhändler Frank Doel persönlichen Kontakt dorthin hat.

Nun, am 17. Juni 1971, sollte sich ihr Traum endlich erfüllen. Sie war glücklich, aber auch ängstlich, da sie gerade nach einer Operation aus dem Krankenhaus entlassen wurde.

Doch die Angst war umsonst. Ein Fan, der sich brieflich bei ihr angekündigt hat, holte sie direkt vom Flugzeug ab. Er arbeitete auf dem Flughafen und so bekam Helene auch gar nichts von den Einreiseformalitäten mit. Er ließ auch Nora und Sheila Doel (Frank Doels Frau und Tochter) ausrufen und so fanden sich die drei:

„Sheila hat gleich gesagt, dass Sie es sind!“, sagte Nora mit einem deutlich irischen Akzent. „Wir haben uns alle Frauen, die aus dem Flugzeug gekommen sind, angeguckt. Und ich habe gesagt: ,Die ist zu blond‘ und ,Die ist zu gewöhnlich‘. Und Sheila hat die ganze Zeit gesagt: ,Die Kleine in dem blauen Hosenanzug ist es, sie sieht so aufgeregt aus.’“

Helene war noch nie in ihrem Leben so glücklich, wie am folgenden Tag, als sie auf einer Bank auf dem Bedford Square saß und sich die Häuser besah. Für diesen Anblick ist sie daheim ins Kino gegangen.

Langeweile kommt bei Helene nicht auf. Sie ist permanent unterwegs, lernt neue Leute kennen, bekommt am laufenden Bank Einladungen und kann London von einer Seite kennenlernen, wie es normale Touristen nicht können.

Sogar nach Oxford wird sie eingeladen. Und da muss sie einfach hin, auch wenn sie das Reisen hasst.

In diesem Buch finde ich auch ihren köstlichen Humor wieder, den ich schon in ihrem Briefbuch so toll fand. Und wie sehr sie Bücher liebt, merkt man auch hier wieder ganz deutlich. Wenn ich so sehe, was alles als Bestseller verkauft wird, wundert es mich doch ganz arg, dass 84, Charing Cross Road keiner war. Das ist anscheinend auch der Grund, dass ich eine Biografie über Helene Hanff nur in Englisch gefunden habe. Bis heute ist mir keine in unserer Sprache untergekommen.

Das wundervolle Buch hat Helene „weder reich noch berühmt gemacht. Aber es hat mir Hunderte von Briefen und Anrufen von Menschen eingetragen, von denen ich keine Ahnung hatte; es hat mir wunderbare Besprechungen gebracht; es hat mir mein Selbstbewusstsein und meine Selbstachtung wiedergegeben, die ich unterwegs, vor weiß Gott wie vielen Jahren, verloren hatte. Es hat mich nach England gebracht. Es hat mein Leben verändert“.

Wenn ihr wissen wollt, was Helene Hanff in London noch alles so erlebt hat und welche Menschen sie kennengelernt hat, dann lege ich euch das Buch nicht nur ans Herz, nein, dann sage ich etwas, was ich eigentlich sehr ungerne sage: Ihr müsst es lesen.

Ich liebe diese Bücher so, weil ich aus jeder Pore von Helene Hanff ihre Bücherliebe herauslese. Einfach wunderbar.

Absolut empfehlenswert auch die Verfilmung: Zwischen den Zeilen mit Anne Bancroft und Anthony Hopkins: 



Der Film beginnt damit, dass wir die Schriftstellerin und Drehbuchautorin im Flugzeug treffen, auf dem Weg nach London, der Stadt, die sie liebt, die sie seit Jahrzehnten besuchen möchte...
Im Taxi, auf dem Weg zum Hotel, kann sie sich gar nicht sattsehen. Als sie ihren Koffer ausgepackt hat, lässt sie sich mit einem Taxi gleich in die 84, Charing Cross Road fahren. Und dann steht sie im Antiquariat Marks & Co. In einem leeren Antiquariat, in dem die Regale eingestaubt sind. Nun steht sie da und erinnert sich. Und so beginnt die Geschichte.

Auf der Suche nach englischer Literatur flitzt Helene Hanff von einem Buchladen in den anderen. Aber nichts. In einer Literaturzeitschrift findet sie eine Anzeige eines Londoner Antiquariats. Zu Hause angekommen, setzt sie sich an ihre Schreibmaschine und schreibt einen Brief.
Und so beginnt ein Briefwechsel, der mehr als 20 Jahre andauern soll.
Nach der ersten Büchersendung aus London kann sie gar nicht glauben, wie preisgünstig sie so tolle gebrauchte Bücher bekommt, Bücher, für die sie sich in der Heimat die Beine wundgelaufen hat.
So folgt Bestellung auf Bestellung. Und während die erste Post noch rein geschäftlich war, wird die folgende Kommunikation immer persönlicher, humorvoller.

Anne Bancroft als Helene Hanff und Anthony als Antiquariatsbuchverkäufer spielen so wundervoll miteinander, als wenn sie nie etwas anderes getan hätten. Helene Hanff, dies quirlige Persönchen und Frank Doel, der steife, zurückhaltende Engländer, der aber aufblüht, wenn er einen Brief aus Amerika bekommt.

Zwischen den Briefen erfahren wir einiges über Helene Hanff, wie sie wohnt (ihre Bücherregale bestehen aus Orangenkisten), ohne vernünftige Möbel (sie gibt all ihr Geld für Bücher aus), wo sie einkauft (ein Gesamtwarenladen, wo der Verkäufer noch hinter der Theke steht).
Und sie schwärmt über Bücher. Wenn ich die meisten Titel auch nicht kenne, ich höre ihr unheimlich gerne zu, wenn sie über Bücher redet. Da geht mir immer das Herz auf.
So nach und nach weitet sich ihr Briefverkehr auch auf die anderen Mitarbeiter von Marks & Co. aus. Und alle möchten sie unbedingt kennenlernen, laden sie nach London ein. Aber immer wieder muss sie ihr Erspartes für Wichtigeres ausgeben. Sei es eine Zahnbehandlung oder eine neue Wohnung, da ihr altes Wohnhaus abgerissen werden soll.
Und so sitzt sie ab und an in einem Kino und schaut englische Filme und träumt von London. Ein Journalist hat ihr mal gesagt: Die Touristen kommen mit vorgefassten Ansichten nach England und finden dann immer genau das, was sie suchen. Und Helene: Ich suche das England der englischen Literatur. Und er: Es ist dort.
Zwischenzeitlich sehen wir auch Frank Doel, wie er auf Büchersuche ist oder im Antiquariat eingegangene Bücher auspackt.

Ich könnte ja nun weiterschwärmen, aber dann verrate ich euch alles vom Film. Also mache ich hier einen Schnitt und lege ihn euch wärmstens ans Herz.


Darsteller
Anne Bancroft als Helene Hanff
Anthony Hopkins als Frank Doel
Judi Dench als Frank Doel's Ehefrau