Frauenliteratur gibt es nicht. Genausowenig wie Linkshänderliteratur, Rothaarigenliteratur, europäische Literatur, Literatur der Nordhalbkugel. All diese Kategorien sind ebenso groß wie bedeutungslos.
Tragischerweise ist Frauenliteratur die einzige, die immer wieder als Knüppel hervorgeholt wird, mit dem man auf schreibende Frauen einschlagen kann.
A. L. Kennedy
Die junge Elke Heidenreich kenne ich nur aus TV-Ausschnitten. Ich habe sie kennengelernt mit ihrer Sendung Lesen! beim ZDF. Und war unheimlich sauer, wie sie von dem geschasst wurde.
Glücklicherweise hat sie nicht aufgegeben und sich im WWW immer wieder einen Platz gesucht, um uns Bücher nahezubringen.
Und nun ihr ganz persönliches "Lese"buch. Die Lust, aufzuschreiben, was Bücher von Frauen mit mir und meinem Leben gemacht haben.
Als Kind las sie Nesthäkchen und Trotzkopf. Das dort vermittelte Frauenbild hatte nun gar nichts mit ihrer Wirklichkeit zu tun. Später, als Studentin, musste sie unter lauter Männerliteratur wirklich suchen, um zu finden, was Frauen gedacht und geschrieben haben.
Frauen konnten erst seit dem 19. Jahrhundert um öffentliche Wahrnehmung und Anerkennung kämpfen. Männer konnten das Jahrhunderte zuvor. Endlich erfuhren Leserinnen, was bisher noch nicht gesagt und geschrieben wurde. Literatur von Frauen sind nicht nur Geschichten, sie ist auch politische Literatur.
Bücher von Frauen werden immer noch als Frauenliteratur betitelt. Sie schreiben ja nur über Frauen für Frauen. Männer schreiben Literatur. Für mich ist das Diskriminierung. Schreibende Frauen werden ausgegrenzt, mit zweierlei Maß behandelt. Schon in der Schule, auch heute noch, kaum sichtbar gemacht. Es wird immer noch gelehrt, was Männer für richtig erachten, wie sie die Welt sehen.
Für mich seit einiger Zeit ein Grund, vorrangig Frauen zu lesen. Auch, wenn man mir vorwirft, von vornherein die Hälfte der Literatur auszuschließen. Was ich in meinem bisherigen Leseleben ja wahrlich nicht getan haben. Aber solche Antworten bekommt frau halt, wenn ihre Texte nicht ordentlich gelesen werden. Und wenn Leserinnen* sich nur das rauspicken, was in ihr Weltbild passt.
Elke Heidenreich zitiert die mexikanische Dichterin Angeles Mastretta:
Wir Frauen verfügen über Schätze, Einsichten, die nirgends niedergeschrieben
sind und die an andere Frauen weiterzugeben unsere Pflicht ist.
Elke Heidenreich beginnt mit Kinderbüchern. In ihrer Gemeindebücherei gab es streng geteilte Regale für Mädchen und Jungen. Getaugt haben die Bücher alle nicht. Doch dann gab es ja noch Die Schatzinsel und Robinson Crusoe - das haben sie alle gelesen. Über Enid Blyton schwärmt sie, sie soll gesagt haben, Kritik von Leuten über zwölf interessiere sie nicht.
Für Elke Heidenreich waren die Geschichten in den Büchern alle wahr, nur ihr eigenes Leben war langweilig. Bis sie eines Tages begriff: Die Phantasie ist das, was uns in den Büchern am Leben hält. Man kann sich Geschichten einfach ausdenken! Bis sie dann mit zehn, elf Jahren eigene Geschichten schrieb.
Und Elke, Nesthäkchen oder Heidi konnten ihr keinen Weg weisen. Da erging es dann anderen Kindern besser, die später mit Astrid Lindgren aufwachsen durften. Doch für die war Elke Heidenreich mittlerweile zu alt. Aber sie hat Lindgren noch als Autorin des Buches Das entschwundene Land kennengelernt, in dem es vorrangig um die wundervolle Liebesgeschichte ihrer Eltern geht. Ich empfehle das Buch wärmstens.
Von den Klein- und Jungmädchen-Büchern findet Elke Heidenreich dann den Weg zu den Märchen der Gebrüder Grimm, Christian Andersen, um dann in die brutale Welt der Sagen zu geraten: Bis in den Traum haben mich nach all den Nesthäkchen diese Geschichten verfolgt, auf die ich durch nichts vorbereitet war! Und hier deckte sich so langsam das, was sie las, mit ihrer Lebenswirklichkeit.
Es ist ein Vergnügen, Elke Heidenreichs Lesen in den verschiedenen Lebensbereichen zu lauschen. Ja, lauschen, denn ich habe beim Lesen das Gefühl, als höre ich sie erzählen. Sie schreibt liebevoll, ironisch, auch kritisch über die Literatur, die ihr damals in jungen Jahren zur Verfügung stand und die, die sie sich später selbst aussuchen konnte.
Ich lese ja auch, seit ich denken kann, eines allerdings hat mir Elke Heidenreich voraus, um was ich sie beneide: Es ist qualvoll, wenn niemand einem weiterhilft, aber ich hatte wenigstens meine Mutter, die früh erkannte, was ich brauchte, und die mich bei aller sonstigen Härte immer darin bestärkte, zu lesen.
Und als sie davon schreibt, dass sie, nachdem sie alles gelesen hatte, was die heimische Bibliothek hergab - so wenig es auch war - Buchhandlungen besuchte. Das erste Buch, dass sie sich vom Taschengeld kaufte, war Kleiner Mann, was nun? von Hans Fallada. Eine billige rororo-Ausgabe. Da stelle ich mal wieder fest, was für ein Spätzünder in punkto guter Literatur ich bin.
Interessant auch, wie sie darüber schreibt (anhand von Vom Winde verweht von Margaret Mitchell), wie man ein Buch lesen kann. Den Film (er kam erst 1953 in die deutschen Kinos) kannte sie damals noch nicht. Heute wird über die Geschichte hauptsächlich als Liebesgeschichte erzählt, Elke Heidenreich hat das Buch damals als Geschichte über den amerikanischen Bürgerkrieg mit einer Liebesgeschichte dabei gelesen.
Dann kam die Studienzeit: Germanistikstudium. Es gab einige Werke aus der Sturm-und-Drang-Epoche, die man gut lesen konnte. Was es verleidete, war die Sekundärliteratur.
Und Autorinnen? Bis zur Romantik eigentlich kaum. Nur ein paar ganz wenige, die aber unter demütigenden Umständen veröffentlichten. Sie durften als Frauen gar nicht zu erkennen sein.
Als Agatha Christie vier Jahre alt war, sagte das Kindermädchen zu ihrer Mutter: Ich fürchte, Madam, Agatha kann lesen.
Die Zitate von damaligen Männern über schreibende Frauen machen mich heute noch wütend. Was müssen sie für eine Angst vor Frauen haben. Für eine Angst vor Machtverlust, dass sie sie dermaßen unterdrückten und in ihrer Bildung und Entwicklung beschnitten.
Kein Wunder, dass sich schreibende Frauen bis in die Gegenwart auch das Leben nahmen. Ja ja, ich höre schon den Aufschrei: Männer haben sich auch umgebracht. Ja, aber sicherlich nicht, weil die Gesellschaft sie nicht schreiben lassen hat.
Durch den DDR-Bücher-Blog beschäftige ich mich ja viel mit DDR-Büchern. Es gab viele tolle Reihen, auch zu Klassikern. Doch auch hier, wo die Gleichberechtigung doch so hoch gehalten wird, sind die Frauen kaum vorhanden. Auch bei Biografien-Reihen kommen äußerst selten Frauen vor - und wenn, dann immer dieselben. Diese Erfahrung hat Elke Heidenreich auch gemacht, als sie sich in den 1960er Jahren bei ihrer Rückkehr von Berlin nach München mit DDR-Klassikern eindeckte. Einzige Frauen: die Droste und die Ebner-Eschenbach!
Ich brauche nicht raten. Habe nach "Sterben" von Knausgard nicht weitergelesen, dafür alle drei Büchlein von Tove Ditlevsen verschlungen.
Elke Heidenreich wurde oft belächelt für das, was sie tut. Doch sie sagt von sich, sie sei keine Literaturkritikerin: Ich möchte bis zuletzt die Leidenschaft für das Lesen wecken und vermitteln. Ja, genau das ist es, was ich auch möchte. Büchern viele Leserinnen wünschen. Von daher auch dieser Blog.
Ja, Elke Heidenreich hat auch Autoren gelesen, konnte sich auch für den ein oder anderen begeistern, doch wichtig für ihr Leben waren dann doch eher Autorinnen.
Mit einem letzten Zitat von Elke Heidenreich schließe ich jetzt und wünsche, dass dieses wunderbare Buch viele Leserinnen findet:
Mehr als zwanzig dicke Leitzordner mit Buchbesprechungen stehen auf meinem Speicher, und wenn ich mir das heute anschaue, frage ich mich, ob ich eigentlich immer nur gelesen oder auch gelebt habe.
Hat sie 😀
Hier unterhält sich Volker Weidermann mit Elke Heidenreich über ihr Buch und das Lesen.
Buchbeginn
Hier geht's lang!
Wo geht's lang? Und was eigentlich? Ach, das Leben, das Lesen, wie kann man das begreifen, was alles mit einem geschieht, wie kann man es verarbeiten, ohne mit anderen Menschen darüber zu reden, aber auch ohne in Büchern wiederzufinden, was einen selbst an- und umtreibt?
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